Mathematik: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma
Released by matroid on Di. 04. September 2001 00:23:51 [Statistics] [Comments]
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Mathematik

\(\begingroup\)\(\newcommand{\IX}{\mathbb{X}} \newcommand{\IW}{\mathbb{M}} \newcommand{\politician}[1]{\text{Ich habe die Frage nicht verstanden. #1}} \newcommand{\ba}{\begin{aligned}} \newcommand{\ea}{\end{aligned}} \newcommand{\bpm}{\begin{pmatrix}} \newcommand{\epm}{\end{pmatrix}} \newcommand{\bc}{\begin{cases}} \newcommand{\ec}{\end{cases}} \newcommand{\on}{\operatorname} \newcommand{\ds}{\displaystyle}\) Bei der Beurteilung von Erfolgschancen zweier in irgendeiner Weise konkurrierender Arten entscheidet die angeborene oder erworbene "Fitness" darüber, welche Art langfristig überlebt.

Die Fitness ist ein Maß für die Anpassung und Eignung der Art an die Lebensumstände.

Die Beurteilung von Erfolgschancen einer Art ist ex ante sehr ungewiß. Ist es besser einen großen Schnabel zu haben und gute Augen oder schnelle Beine und einen kleinen Kopf? Das hängt von den Umständen ab.

Vor derartigen Fragen steht man aber nicht nur in der biologischen Evolution.
In der Entwicklung von Gesellschaften und gesellschaftlichem Handeln kann man auch evolutionäre Prozesse erkennen.

Wie entwickelt sich kooperatives Denken in einer Bevölkerung. Wie bilden sich in einer Gemeinschaft die Regeln des Zusammenlebens? Welche Abweichungen von Regeln sind sinnvoll?

Durch die Anwendung von Computern wird es möglich auf diesem Feld Experimente anzustellen und so die Chancen von Arten oder Individuen mit bestimmten Verhaltensweisen (Strategien) zu beurteilen.


Zum Vergleich von 2 Überlebensstrategien läßt man im Computer die Strategien gegeneinander antreten.
Bei jedem direkten Vergleich zweier Strategien gewinnt oder verliert eine davon.
Die Fitness ist die Gewinnfunktion für das Individuum. Eine hohe Fitness garantiert mehr Nachkommen als eine niedrige Fitness.

Eine hohe Fitness garantiert, daß entsprechend viele Nachkommen mit dieser Strategie (im Computer) geboren werden.

Über hunderte von Generationen fortgesetzt, erweist sich die eine Strategie als "stärker", d.h. die Angehörigen der anderen Art sterben aus oder bleiben zahlenmäßig gering.

Spiele mit Kooperationsmöglichkeit sind für solche Experimente geeignet. Über ein solches Experiment erfährt man mehr in Wie die Natur die Fairness erfand von bild der wissenschaft online. Darin werden mit experimentellen Methoden verschiedene Strategien im Ultimatum-Spiel beurteilt.

 
Das Gefangenen-Dilemma ist ein anderes bekanntes Beispiel eines Kooperationsspiels.

Zwei Gefangene sind verdächtig, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt 5 Jahre.

Der Richter macht jedem der beiden folgendes Angebot: "Wenn Du auspackst, und somit Deinen Partner belastest, kommst du mit 1 Jahr Gefängnis davon, und er muß die vollen 5 Jahre absitzen. Wenn ihr beide schweigt, haben wir genügend Indizienbeweise, um euch beide für 3 Jahre einzusperren. Wenn ihr beide gesteht, müßt ihr 4 Jahre eures Lebens hier verbringen."

Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit, sich über ihr Vorgehen abzustimmen. Wie werden sie sich entscheiden?

Die Spieltheorie mit ihren Auszahlungsmatrizen und Min-Max-Argumenten liefert eine Antwort.
Die besagt: Wähle die Strategie, die den maximalen Verlust minimiert. Mit dieser Betrachtungsweise müßten sich beide für "Gestehen" entscheiden und gehen anschließend beide 4 Jahre ins Gefängnis.
Die Min-Max-Betrachtung liefert also nicht das durch Kooperation erreichbare Optimum für beide, nämlich 3 Jahre für jeden.

Wenn zwei Kumpane genau einmal im Leben in diese Lage kommen, dann mögen Sie das eine oder andere tun. Die Entscheidung für eine der Strategien bleibt ein Einzelfall. Es gibt keinen Lernprozeß.

Wie kann denn der Einfluß früherer Erfahrung in das Modell eingehen?

Ein Gefangener der geschwiegen hat und erlebt, daß sein Partner auch geschwiegen hat, mag bereuen, daß er die Chance des Verrats nichts genutzt hat.
Ein Gefangener, der einmal geschwiegen hat, aber von seinem Kumpan verraten worden ist, kann daraus auch eine Lehre ziehen.

Welche "Lehre" ist das?

Nun, wie reagiert man auf erlebten Verrat oder erlebte Kooperation? Einerseits könnte man annehmen, daß erlebte Kooperation (also gemeinsames Schweigen) die erneute Kooperation zu einem späteren Zeitpunkt fördert. Andererseits, wenn ein Gefangener bisher nur Kooperation seitens seines Komplizen erlebt hat, mag er hoffen mit einem Verrat seine eigene Lage sehr zu verbessern.
Und was macht ein Gefangener, der einmal verraten worden ist, und später wieder mit einem (anderen) Kumpel in der gleichen Situation steht?
Er könnte bei seiner "Kooperationsstrategie" bleiben, oder er könnte Konsequenzen ziehen und nun ebenfalls verraten.

Ein Dilemma!

Da die Möglichkeit zur Kooperation besteht - das wissen beide Gefangene - können beide sich (nach gemachter Erfahrung) auf vielfältige Weise verhalten:

S1: Ich versuche es immer mit Kooperation (Schweigen)
S2: Ich versuche es immer mit Verrat.
S3: Wenn ich das letzte mal verraten worden bin, dann werde ich jetzt auch verraten, ansonsten schweigen.
S4: Wenn ich die letzte x mal verraten worden bin (x als Schwellwert), dann werde ich jetzt auch verraten.
S5: Wenn meine Partner die letzten x mal geschwiegen haben, dann werde ich jetzt verraten.
Sx: usw.

Jeder Anstrich beschreibt eine mögliche Strategie.
Welche von diesen Strategien ist die beste?

In Computerversuchen hat man diese (und weitere) Strategien gegeneinander antreten lassen. Von zwei zufällig gepaarten Strategien hat die "überlebt", die in der isolierten Situation erfolgreicher war (weniger Gefängnisjahre erhalten hat). Jeder Nachkommengeneration wurde die Erfahrung aller früheren Generationen mitgegeben.
Informationen zu einem früheren Turnier zu PRISONER DILEMMA.

Was hat man festgestellt?

Auf Dauer hat sich die Strategie S3 als die erfolgreichste erwiesen.

Wie können wir das Ergebnis deuten?

Man soll nicht zu nachgiebig sein, das wird ausgenutzt werden. Wenn man verraten wird (Unrecht erleidet) soll man es bei nächster Gelegenheit zurückgeben. Das erzieht zur Kooperation.

Aha!

Das ist nun kein Beweis im mathematischen Sinne, aber in der Evolution gilt: "Überleben ist Beweis genug".

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Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma [von matroid]  
Bei der Beurteilung von Erfolgschancen zweier in irgendeiner Weise konkurrierender Arten entscheidet die angeborene oder erworbene "Fitness" darüber, welche Art langfristig überlebt. Die Fitness ist ein Maß für die Anpassung und Eignung der Art an die Lebensumstände.
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von: am: Do. 01. Januar 1970 01:00:00
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"Mathematik: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma" | 9 Comments
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Re: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma
von: buh am: Mi. 05. September 2001 20:39:35
\(\begingroup\)Das Ganze (Gefangenen-Dilemma) müsste man doch aus der Sicht des Richters optimieren können; wieviel Jahre Erlass sichern eine "vernünftige" Rechtsprechung? (mit Beweis statt Indizien)
Andere Frage: WO gibt es (Freeware bzw. von der Bildung bezahlbare) Programme zur Simulation biologischer Vorgänge?

Frage von buh\(\endgroup\)
 

Re: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma
von: matroid am: Do. 06. September 2001 12:42:57
\(\begingroup\)Informationen zu einem früheren Turnier zu PRISONER DILEMMA.\(\endgroup\)
 

Re: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefangenen-Dilemma
von: Ex_Mitglied_40174 am: Mo. 06. Mai 2002 21:03:16
\(\begingroup\)nette darstellungen,nicht sehr hilfreich in bio aber für mathe eine tolle erkenntnis. DANKE\(\endgroup\)
 

Re: Überleben ist Beweis genug - Über Evolution und das Gefa
von: Cerebus am: So. 19. Juni 2005 00:38:50
\(\begingroup\)Die Darstellung der Spieltheorie ist nicht ganz korrekt. Die Minimax-Strategie ist die optimale Strategie in 2-Personen 0-Summen-Spielen, das Gefangenendilemma gehört nicht dazu. In dem Gefangenendilemma ohne Wiederholung ist Verrat die beste Strategie- egal was der Andere macht. Bei widerholten Spielen wird das Ganze um Einiges komplizierter. Wenn beide wissen wie viele Runden das Spiel wiederholt wird ist Verrat noch immer die beste lösung (das einzige Teilspiel-perfekte Nash-Gleichgewicht), bei unendlich vielen Wiederholungen ist fast alles möglich (das sog. Folk-Theorem präzisiert das) und falls nichts darüber bekannt ist wie lang das Spiel geht ist irgendwas dazwischen möglich. Eine lesenswerte Kritik an diesen Computersimulationen hat der Spieltheoretiker Ken Binmore geschrieben: Review: The Complexity of Cooperation: Agent-Based Models of Competition and Collaboration lg. Michael\(\endgroup\)
 

 
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