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buhs Montagsreport: Das reverse Weihnachtsmärchen
Released by matroid on Mo. 15. Dezember 2003 00:00:16 [Statistics] [Comments]
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Adventskalender

\(\begingroup\) Das reverse Weihnachtsmärchen

von der Rückseite mitgebracht von Leonardo ver Wuenschmi

Im stillen Büro fiel die Metallplatte von der Wand und klapperte auf den Boden. Zwei schwarze Stiefel erschienen. Der Mann im roten Mantel kroch vorsichtig durch die Öffnung und zog den Sack hinter sich her. Computer schliefen unter den Abdeckungen. Telefone ruhten. Leere füllte den Raum von einer Seite zur anderen. Ein kleines rotes Licht glühte am Bürocomputer. Der Weihnachtsmann blickte auf das zerknitterte Papier in seiner Hand. "Hm", sagte er. "Jemand hat sich einen Scherz erlaubt."



Das Licht blinkte, und ein Bildschirm - es gab dutzende im Halbdunkeln - erhellte sich. Buchstaben erschienen und bildeten folgende Worte: Damit ist alles vermasselt. Es folgte Entschuldigung, und dann: Nützt es etwas, wenn ich mich hochfahre? Der Weihnachtsmann sah erneut auf den Brief hinab. Es war zweifellos der ordentlichste, den er jemals erhalten hatte. Er bekam nur wenige am Computer geschriebene Briefe, die fünfzigtausendmal ausgedruckt waren, und fast nie wurden Artikelnummern und Preise bis auf sechs Dezimalstellen hinzugefügt.
"Um das gleich klarzustellen...", sagte er. "Du bist Tom?"
T.O.M. Trade & Office Machines.
"Du hast nicht erwähnt, dass du ein Computer bist", sagte der Weihnachtsmann.
Entschuldigung. Ich habe es nicht für wichtig gehalten.

Der Weihnachtsmann nahm auf einem Stuhl Platz, der sich unter ihm drehte. Es war drei Uhr morgens, und er musste noch vierzig Millionen Häuser besuchen.
"Hör mal", sagte er so freundlich wie möglich, "es gehört sich nicht, dass Computer an mich glauben. Das ist allein Kindern vorbehalten. Ich meine kleine Menschen. Mit Armen und Beinen."
Und?
"Und was?"
Glauben Sie an dich?
Der Weihnachtsmann seufzte.
"Natürlich nicht", erwiderte er. "Meiner Ansicht nach ist das elektrische Licht schuld."
Bei mir sieht die Sache anders aus.
"Wie bitte?"
Ich glaube an dich. Ich glaube alles, was man mir sagt. Es ist meine Aufgabe. Wenn man zu vermuten beginnt, dass zwei und zwei nicht mehr vier ergibt, dann kommt ein Mann, schraubt einen auf und zieht an den Kabeln. Ich versichere dir: So etwas möchte man nicht zweimal erleben.
"Wie schrecklich!" entfuhr es dem Weihnachtsmann.
Ja. Ich sitze hier den ganzen Tag und berechne den Lohn. Weißt du, heute fand hier eine Weihnachtsfeier statt, aber ich wurde nicht eingeladen. Ich bekam nicht einmal einen Luftballon.
"Na so was."
Nun, jemand verstreute Erdnüsse auf meiner Tastatur. Das war immerhin etwas. Und dann gingen die Leute nach Hause und ließen mich hier allein zurück. Sogar über Weihnachten muss ich arbeiten.
"Ja, das erschien mir auch immer ungerecht", erwiderte der Weihnachtsmann. "Wie dem auch sei... Computer können keine Gefühle haben. Das ist doch töricht."
Ebenso töricht wie ein dicker Mann, der in einer einzigen Nacht durch Millionen von Schornsteinen klettert?
Der Weihnachtsmann wirkte ein wenig verlegen. "Guter Hinweis", sagte er und blickte auf seine Liste. "Aber diese Dinge kann ich dir nicht geben. Ich weiß nicht einmal, was eine Multifunktions-Festplatte mit einer Kapazität von einer Milliarde Megabyte ist."
Welche Dinge erwarten die meisten deiner Kunden von dir?

Der Weihnachtsmann sah traurig zum Sack. "Computer", antwortete er. "Und Captain Superhyperultratotalaction-Raumschiffe. Robotdinosaurier. Megakill-Lasergewehre. Und andere robotische Dinge, die aussehen wie durch Volkswagen gehämmerte amerikanische Footballspieler. Dinge, die piepen und Batterien benötigen", fügte er niedergeschlagen hinzu. "Nicht mehr die Spielsachen, die ich früher brachte. Heutzutage interessiert sich niemand für Puppen und Modelleisenbahnen."
Modelleisenbahnen?
"Die kennst du nicht? Ich dachte, Computer wüssten alles."
Nur über Lohnabrechnungen.
Der Weihnachtsmann griff in den Sack. "Ich habe immer ein oder zwei dabei", sagte er. "Nur für den Fall."

Vier Uhr morgens. Gleise wanden sich durch das Büro. Fünfzehn Lokomotiven fuhren unter den Schreibtischen. Der Weihnachtsmann kniete auf dem Boden und baute ein Haus aus Bauklötzen. Seit 1894 hatte er sich nicht mehr so sehr vergnügt. Echtes Spielzeug umgab den Computer. All jene Dinge, die immer ganz oben im Sack des Weihnachtsmannes zu sehen sind, und nach denen nie jemand fragt. Nicht eins davon benötigt Batterien.
"Und du bist ganz sicher, dass du keinen Superhyper-Krimskrams mit Megatod-Strahlen willst?"
Nein, so etwas möchte ich nicht.
"Gut."
Der Computer piepte. Die Leute werden mir nicht erlauben, etwas davon zu behalten, schrieb er. Bestimmt nehmen sie mir alles weg (schnief).
Der Weihnachtsmann klopft behutsam aufs Computergehäuse.
"Es muss doch etwas geben, das du behalten darfst", sagte er. "Bestimmt habe ich etwas. Weißt du, es freut mich jemanden begegnet zu sein, der nicht an mir zweifelt." Er überlegte. "Wie alt bist du?"
Man hat mich am 05. Januar 2002 um 9.25 Uhr und 16 Sekunden eingeschaltet.
Die Lippen des Weihnachtsmannes bewegten sich, als er rechnete.
"Dann bist du noch nicht einmal zwei Jahre alt! Oh, ich habe etwas in meinem Sack für einen Zweijährigen, der an den Weihnachtsmann glaubt."

Einen Monat nach Weihnachten. Die Dekorationen waren längst entfernt. Ein Computertechniker saß vor dem durcheinander aus Kabeln und kratzte sich am Kopf.
"Ich verstehe das nicht", sagte er. "Es liegt kein Defekt vor. Was genau ist passiert?"
Der Büroleiter seufzte. "Als wir nach Weihnachten zurückkehrten, stellten wir fest, dass jemand ein Spielzeug auf den Monitor gelegt hatte. Wir konnten es dort doch nicht liegen lassen, oder? Aber wenn wir es wegnehmen, piept der Computer und fährt herunter."
Der Techniker zuckte mit den Achseln. "Nun, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen", sagte er. "Sie müssen den Teddybär wieder auf den Monitor setzen."



Ein frohes Fest wünscht allen

Leonardo ver Wuenschmi

-----
*: Für diese wundervolle Weihnachtsgeschichte, die ich nie hätte schreiben können, danke ich Englands meistgeklautem Autor. Ich danke Terry Pratchett. buh


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"buhs Montagsreport: Das reverse Weihnachtsmärchen" | 11 Comments
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Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Spock am: Mo. 15. Dezember 2003 00:36:30
\(\begingroup\)@buh*: ob geklaut oder nicht, ich danke Dir und LvW fürs Hinschreiben. Das ist die erste Weihnachtsgeschichte, die ich lese seit ich trotz Computer aufgehört habe an den Weihnachtsmann zu glauben, 😄
Die volle Sternchenzahl, *****, von mir für diesen Montag...

Gruß
Juergen\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: SchuBi am: Mo. 15. Dezember 2003 15:48:07
\(\begingroup\)@buh
Das ist eine tolle Geschichte - selbst meinem GK11 mathe hat sie gefallen.\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Ex_Mitglied_40174 am: Mo. 15. Dezember 2003 15:58:04
\(\begingroup\)eine tolle Geschichte.

Herzlichen Dank

Heinz\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Hans-Juergen am: Mo. 15. Dezember 2003 18:15:15
\(\begingroup\)Wirklich sehr nett. Danke!
Hab' ich gleich an Freunde weitergemailt.

Hans-Jürgen\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Rebecca am: Mo. 15. Dezember 2003 18:43:20
\(\begingroup\)SUUUPER, HERRLICH, DANKE !!

Sowas müsste man selber schreiben können.

Gruß
Rebecca\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Martin_Infinite am: Mo. 15. Dezember 2003 20:21:30
\(\begingroup\)Echt 'ne super Geschichte, buh!

Selber ausgedacht?

Gruß
Martin\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Rebecca am: Mo. 15. Dezember 2003 20:47:27
\(\begingroup\)Hi Martin,

erst mal "Happy Birthday" zum ersten Jahrestag für den wohl aktivsten Forum-Schreiber.

Aber kleiner Seitenhieb: "Wer Lesen kann, hat ... (schau mal auf das * in Buh's Artikel).

Gruß
Rebecca\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: buh am: Mo. 15. Dezember 2003 21:23:44
\(\begingroup\)Nachtrag: Terry Pratchett ist tatsächlich der in englischen Buchhandlungen am häufigsten gestohlene Autor.
Also nicht er, ....

Und ich liebe ihn.


Gruß von buh\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Ex_Mitglied_40174 am: Di. 16. Dezember 2003 19:13:01
\(\begingroup\)Hi,
hab mich bei der Suche nach einem Linkkabel verirrt und bin hier gelandet. Niedliche Geschichte. Hätte nicht erwartet so etwas zu finden.

Mfg Ralf\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Leonardo_ver_Wuenschmi am: Mo. 14. Dezember 2009 18:11:11
\(\begingroup\)Unser Teddy. Jetzt hat er es sogar zum stellvertretenden Adventskalender (2006) gebracht. Danke, matroid, sagt Leonardo ver Wuenschmi und wünscht eine schöne Adventszeit und ein gesegnetes Weihnachtsfest.\(\endgroup\)
 

Re: Das reverse Weihnachtsmärchen
von: Goswin am: Mo. 23. Dezember 2013 20:20:40
\(\begingroup\)Da ist eine wichtige Lehre enthalten! Als ich noch Student war, haben wir Computer wie deterministische Maschinen behandelt. Wir lernten damals noch Fortran und Assembler, und wenn irgendetwas falsch lief, untersuchten wir unser Programm Schritt für Schritt um herauszufinden, was falsch war. Wir dachten solange nach, bis wir einen Fehler gefunden hatten. Falls er plötzlich ohne unser Zutun wieder richtig lief, dann machten wir uns erst recht Sorgen, denn nun war es war noch schwerer herauszufinden, was losgewesen war. Machmal versuche ich heute noch ganz instintiv, dasselbe zu tun. Aber das ist falsch, grundsätzlich verkehrt, geradezu irrsinnig und kann niemals funktionieren. Die richtige Frage an hilfsbereite Kollegen ist: "Wie bringe ich das Ding zum Laufen?" und nie, niemals: "Was habe ich falsch gemacht?" Exponentiell wachsende Quantität verwandelt sich in gefühlte Qualität. Dass Computer deterministisch vorgehen ist unumsetzbare irrelevante Theorie; wir müssen weiterleben können, und können das nur noch durch Herumraten oder Googeln. Fragt eure Kinder. Frohe Weihnacht!\(\endgroup\)
 

 
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