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Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer
Released by matroid on Do. 22. April 2004 18:54:50 [Statistics] [Comments]
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Mathematik

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Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer

Das Folgende bezieht sich auf den von buh eröffneten thread "Übungen zur Logik (2)".  Als Diskussionsbeitrag würde es zu lang werden. Und noch eine Vorbemerkung: wenn ich "Schüler" schreibe, sind selbstverständlich auch Schülerinnen gemeint.



Der Einsatz von Taschenrechnern, die einem weitgehend das Denken abnehmen, ist nur der Anfang. Unser 21. Jahrhundert, das erst wenige Jahre alt ist, unterscheidet sich von allen vorangegangenen grundlegend; es wird ganz anders werden als sie, auch als die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der die meisten Unterrichtsziele und Prüfungsbedingungen im Fach Mathematik festgelegt wurden. Es wird eine starke Wechselwirkung zwischen menschlichem Geist und Elektronik geben, von deren Ausmaß wir im Augenblick nur eine ungefähre Vorstellung haben. Professor Karl-Friedrich Fischbach, Biologe und versiert im Computerwesen, schreibt dazu in seinem Forum "Seniorentreff" unter anderem:

"... 2030 besitzt ein $1000 Rechner die Rechenkapazität von 1000 Menschen. Da gleichzeitig die Algorithmen zur Informations- verarbeitung im menschlichen Gehirn entschlüsselt worden sind und somit diese Algorithmen auf die Maschinen übertragen werden können, wird die maschinelle Intelligenz derjenigen aus Fleisch und Blut haushoch überlegen sein. Immerhin kann ein Computer auf alles Wissen im WWW in kürzester Zeit zugreifen. Menschen werden versuchen, dieses Handicap mittels implantierter Chips auszugleichen.
Die virtuelle Realität wird viel realer sein als heute. Viele Menschen werden in ihr ganz versinken und nur ungern auftauchen. Mittels winziger Laserkanonen in Brillen oder Kontaktlinsen oder später über direkten Datenanschluss wird die Illusion in der virtuellen Welt vollkommen sein. Wir werden mit virtuellen Persönlichkeiten interagieren und uns von ihnen beraten lassen. Virtuelle Persönlichkeiten sind unsterblich, ..."

Dieses Szenario erinnert mich an einen Satz, den ich irgendwo einmal las: "Nach der Kohlenstoff-Evolution kommt die Silizium-Evolution." Vielleicht werden wir eines Tages von den Computern beherrscht und müssen mit ihnen auf eine vertrackte Art sogar kämpfen, um unser Menschsein zu erhalten. Wer kann das jetzt schon so genau sagen? Vorläufig ist es noch nicht soweit; deshalb zurück zu den "denkenden" Taschenrechnern (ich weiß: das trifft es nicht):

Von der Lehrerseite her läßt sich dem schädlichen Einfluß dieser Geräte entgegenwirken, wenn eine Rückbesinnung stattfindet auf das, was der Mathematikunterricht neben der Vermittlung von Kenntnissen auch fördern soll (er ist dazu wie kein anderes Fach geeignet): Genauigkeit, Gründlichkeit, Fleiß, dazu Anstrengungsbereitschaft und Durchaltevermögen, wenn es schwierig wird. Nicht zuletzt sei die Begeisterungsfähigkeit für das genannt, was früher gedacht und erforscht wurde: originelle Aufgabenstellungen und Methoden zu ihrer Lösung; Bildung geeigneter Begriffe und Symbole im Laufe der Mathematikgeschichte. Man kann sich herausragende, aber auch weniger bekannte Mathematiker (Männer und Frauen) vornehmen und manches mehr. Der Geist der Mathematik muß wiedererweckt werden, der häufig zugunsten eines öden Formalismus erstickt wurde oder gar nicht mehr zur Kenntnis genommen wird. Daß jetzt eine bestimmte Firma, wie es von buh und anderen beklagt wird, mit ihren Geräten im Schulbereich einen riesigen Markt vorfindet, ist sozusagen die Rache dafür, daß jahrzehntelang "Kurvendiskussion" bis zum Geht-Nicht-Mehr behandelt und wurde, oftmals gedankenslos und rein schematisch.

Änderung tut not. Lassen wir Lehrer doch die uns anvertrauten jungen Leute ihr jeweiliges Vorgehen erklären: ausführlich, genau und sprachlich einwandfrei. Unterricht ist auch ein Erziehungsprozeß, was oftmals vergessen, ja sogar bestritten wird! Legen wir Wert darauf, daß sie wissen und dies auch zum Ausdruck bringen, was zum Beispiel die Begriffe "notwendige" und "hinreichende Bedingung" bedeuten, die sie bei der Kurvendiskussion anwenden! Hier hilft kein einfacher Tastendruck auf den Taschenrechner. Lassen wir sie im Unterricht, in Klausuren und in der Abi-Prüfung zum Beispiel erklären, was Stetigkeit oder Differenzierbarkeit bedeuten oder worin etwa das Newtonsche Näherungsverfahren besteht! Oder in der Wahrscheinlichkeitsrechnung: es ist zu begründen, warum diese oder jene "Formel" angewendet wird, ehe man zum Rechner greift.

Ich weiß: viele Lehrer tun und verlangen das, aber bei weitem nicht alle. Es gibt genügend, die sich zu wenig Gedanken über ihren Unterricht machen, die sich auf ihn nicht ordentlich vorbereiten, die den Schülern gestellte Aufgaben selber nicht lösen können und sich durch "geistreiche" Sprüche blamieren, ohne es zu merken. Manche beleidigen schwache, aber lernwillige Schüler und treiben sie in die Verzweiflung. Solche Lehrer werden durch die "denkenden" Rechner in ihrer Faulheit und Unfähigkeit noch unterstützt.

Noch einiges ließe sich zu alledem sagen, zum Beispiel, daß es Menschen gibt, denen unser Lieblingsfach einfach nicht liegt (genauso, wie nicht jeder singen oder gut zeichnen kann oder sportlich ist) - sie werden trotzdem gezwungen, am Mathematikunterricht teilzunehmen, vor allem, zumindest zeitweise, in der Oberstufe. Häufig gehören die Betreffenden später als Erwachsene zu denen, die darüber schimpfen oder sogar noch stolz darauf sind, in "Mathe" schlecht gewesen zu sein.

Hans-Jürgen

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Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer [von Hans-Juergen]  
Das Folgende bezieht sich auf den von buh eröffneten thread "Übungen zur Logik (2)".  Als Diskussionsbeitrag würde es zu lang werden. Und noch eine Vorbemerkung: wenn ich "Schüler" schreibe, sind selbstverständlich auch Schülerinnen gemeint.
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"Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer" | 3 Comments
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Re: Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer
von: Martin_Infinite am: Do. 22. April 2004 20:02:48
\(\begingroup\)Hallo Hans-Juergen

Dein Artikel gefällt mir :-). Viele Aspekte waren mir vorher gar nicht in der Form klar, etwa das mit der Rache.

Gruß
Martin\(\endgroup\)
 

Re: Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer
von: buh am: Di. 27. April 2004 17:09:29
\(\begingroup\)GTR bezeichne im Folgenden die neue Generation der Graphiktaschenrechner und der CAS-Rechner.

Ein GTR ist nicht a priori, auch und erst recht nicht für Lehrer, ein schlechtes Ding, genauso wenig wie ein Beil, mit dem man Schweine schlachten kann, ein solches ist.
Allerdings käme vermutlich auch kein Mensch auf die Idee, eine Metzgerei zu kaufen, wenn ihm nach Fleisch ist. Meint: Der Einsatz eines Hilfsmittels ist von der Zielstellung abhängig. Die Vorstellung, dass jemand seine privaten Haushaltsmittel mit einem GTR verwaltet,…
GTR gehören in die Schulen. Aber an die richtige Stelle im Unterricht. Der Einsatz macht wenig, um nicht zu sagen keinen Sinn bei der Einführung der linearen Funktionen. Solange ein Schüler nicht begriffen hat, was eine Funktion ist, was ihr Graph ist und wozu dieser gut sein könnte, gehört in seine Hand nicht ein solches Kampfgerät.
Beim Einsatz der GTR zeigen sich die sattsam bekannten Erscheinungen, die mit der Einführung des Taschenrechners in den Unterricht der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verbunden waren:
Die Bedienung ist „kinderleicht“, wozu muss ich mir das erklären lassen?
(Wer braucht schon Wissen über implementierte Hierarchien, die Unvollständigkeit der TR-Zahlen, Klammern oder gar Speicher?)
Wieso soll ich das Einmaleins auswendig lernen? Das macht der Rechner.

Das muss stimmen; der Rechner zeigt das an!!

Es hat lange gedauert, diese Erscheinungen halbwegs wieder zurückzudrängen, aber auch heute noch muss man um jedes Stück Mathematik im Matheunterricht kämpfen. Man begründe mal einem Schüler, warum er dies oder jenes nicht mit dem TR lösen soll.
Wir sind weder Schafe noch Lemminge. Machen wir doch die Fehler von damals nicht gleich wieder. Mathematikunterricht soll MATHEMATIK vermitteln, mathematisches Denken und Lösungsstrategien vermitteln, Zahlverständnis und noch einiges. Damit das funktioniert, bedarf es u.a. gesellschaftsumfassend eines Konsenses darüber, dass nicht der Unterricht mit dem neuesten Hilfsmittel, sondern der Unterricht mit der höchsten geistigen Forderung gewollt und unterstützt wird. Ich will nicht mehr von Eltern in die Pfanne gehauen werden, wenn ihr Kind den neuen (unverlangten) 200-Euro-Rechner nicht beherrscht (Dazu bin ich ja schließlich da!), sondern wenn, dann schon, weil meine Schüler zu wenig Hausaufgaben und geistige Forderung im Unterricht haben. Es muss eine allgemeine Akzeptanz gegenüber zwingend notwendiger unverzichtbarer mathematischer Grundbildung (die Pauken einschließt!!) und ihrer Realisierung im Unterricht geben, dann ist der Einsatz JEDES Hilfsmittels machbar, vernünftig und günstig. Aber lasst den Lehrer entscheiden, ob an dieser oder jener Stelle im Unterricht der GTR-Einsatz angebracht ist oder nicht.
Es nützt nichts, wenn sich alle Schüler einen 200-Euro-GTR kaufen (müssen! Gleiche Bedingungen für alle), und die Hälfte ist mit der Bedienung total überfordert. Und sage jetzt keiner, ich wisse nicht, wovon ich rede.
Nachtrag zum Tea Ei: Ob TI, casio oder Wott-Ei-Nouh® : Die Argumentation der Verkaufsstrategen ist hirnrissig, nicht ihr Gerät. Und sie ist gefährlich. Deshalb schrieb ich „Übungen zur Logik (2)“.Auch wenn mein Report nichts verändern wird.

Gruß von buh
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Re: Nochmals: Graphiktaschenrechner und Taschencomputer
von: huepfer am: Sa. 15. Mai 2004 23:08:39
\(\begingroup\)Ich finde ihr beiden (Hans-Jürgen und buh) habt es noch Mal genau auf den Punkt gebracht. Was heute zählt ist nicht mehr, ob Schüler in der Lage sind etwas zu erklären oder selbst herauszufinden. Es zählt einzig und allein die Note, die hinterher rauskommt. Aber auch da geht es nicht um Leistung, das wäre ja auch zu billig und würde ja keinen "Fun" bereiten. Ich verwende "Fun" ganz bewusst, denn das spiegelt auch ein verbreitetes Problem wieder: Alles muss Spaß machen, darf nicht anstrengen und Anspruch ist total fehl am Platze. Heute verlassen viele die Schule und können nicht mal richtig deutsch, geschweige denn eine Fremdsprache oder irgendetwas, was sie in der Schule gelernt haben praktisch anwenden.
Aber was wird sich daran ändern? Wird man wieder dorthin zurück finden, wo Leistung zählt?
Vermutlich nicht, zumindest nicht so lange in Bildungsfragen jeder Experte ist (man war ja schließlich auch Mal Schüler) und die wichtigsten Entscheidungen von Hotelfachangestellten, etc. getroffen werden.
Erst wenn Wissen und Kenntnisse (man betrachte den Unterschied) wieder den Vorzug erhalten, kann sich an der Situation etwas ändern. Mit dem Trend zur Ganztagsschule ist bei den bekannten Konzepten jedenfalls nichts zu gewinnen, da Schule dann nur noch "Kinderaufbewahrungsstätte" ist. Aber das ist ja ohnehin alles egal, denn Arroganz ist Trumpf, ich konnte noch nie Mathe, Französisch habe ich gehasst, ich habe in der Schule immer nur die Lehrer verarscht (und dabei nicht gemerkt, dass ich mich eigentlich nur selbst verarscht habe). Aber die Quittung bekommen wir ja schon jetzt, die Firmen wandern ins Ausland ab, der Aufschwung kommt, überall blos nicht hier. Es gäbe hunderte Beispiele, mit denen man das fortführen könnte.
Aber vielleicht ist das ja für uns, die wir jetzt schon unsere (Schul-)ausbildung hinter uns haben, denn wir brauchen uns dann irgendwann keine Sorgen mehr machen, dass die "Jugend" nachkommt und uns unsere Plätze streitig macht, aber ob uns das dann helfen würde???
Ich habe meine meine Zweifel und ich glaube ich bin damit nicht allein. Aber ich befürchte es wird sich erst etwas ändern, wenn es garnicht mehr anders geht.

Gruß
Felix\(\endgroup\)
 

 
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