 Ein Beitrag zum Aufsatz- und Dichterspaß 2010 Kolumbus' letzte Reise Kaum drei Monate war es jetzt her, daß Kolumbus von Amerika zurückgekommen war, da bereute er schon seine große Reise. Immer dieses Aufhebens! Wollte er einmal aus dem Haus gehen, kam gleich ein Reporter und hielt ihm ein Mikro vor die Nase. An jeder Straßenecke lauerten Fans, die ein Autogramm ergattern wollten. Der Spanische König und der Bürgermeister von Madrid hatten ihn bereits empfangen, Einladungen von Segelklubs, der Uni, insbesondere der geographischen, astronomischen und biologischen Fakultät standen noch aus. Drei Talkshows hatte er schon mitgemacht, fünf weitere sollten noch folgen. Der nächste Termin aber war eine Gruppe von Musikern mit Schifferklavieren, die sich gerade erst zusammengetan hatten und ihn beim ersten öffentlichen Auftritt ihrer Band unbedingt dabei haben wollten. Und dann die Mädchen! Das war ihm das Schlimmste. Alles rannte ihm hinterher! Jeden Morgen der Briefkasten voll mit Fanpost und Heiratsanträgen! Hier gab es nur eine Abhilfe: Nix wie weg! Darauf trat der mittlerweile zum Admiral ernannte Seefahrer vor den spanischen König und sagte: "Ich bitte Eure Majestät mich ein weiteres Mal von Ihren Diensten hier vor Ort freizustellen, auf daß ich nochmals auf eine Entdeckungsfahrt gehen kann!" "Aber Herr Kolumbus, Ihr habt das Beste doch schon gebracht - was wollt Ihr denn noch entdecken? Ihr müßt verstehen, daß ich Euch nur hier fortlasse, wenn Eure Expedition wirklich für mich oder das gesamte Spanische Volk von hohem Nutzen zu sein verspricht. Was soll es also dieses Mal sein?" "Soll ich dann für Eure Majestät kämpfen? Ein Ungeheuer beseitigen, das großen Schaden anrichtet? Würden Euer Gnaden mir diese Ehre erteilen?" "Wenn ihr unbedingt wollt, Herr Admiral, dann fahrt los! Aber kommt nicht zurück, bevor ihr Erfolg hattet und das größte Ungeheuer der Welt besiegt habt!" "Was meinen Eure Majestät damit?" "Das größte Ungeheuer der Welt ist die Mathematik! So, und nun zieht fort und gedenkt meiner Worte!" 'Das kann ja heiter werden.', denkt sich unser Held, 'Was ist unser König doch für ein einfältiger Mensch! Wie soll ich denn ein Schiff führen, ohne mit meinen Karten, Sextanten und dem Kompaß Positionsberechnungen durchzuführen?' Und voller Besorgnis, ob er unter dieser Bedingung sein Land überhaupt verlassen könnte, blättert er die allmorgendliche Fanpost durch. Naja, so schlecht sehen die Mädels gar nicht aus, die mir ihre Fotos schicken, muß er sich eingestehen, aber gleich so viele auf einmal?? Da fällt sein Blick auf einen Umschlag, der ganz vornehm aussieht und länglich ist, nicht von Hand adressiert und eigenartigerweise keine Briefmarke trägt. Dort befinden sich nur eine Menge Striche. Er dreht den Brief um und sucht nach einem Absender, findet dort nur die eine Angabe: TomTom. Neugierig macht er ihn auf. Sehr geehrter Herr Admiral! Hätten sie Lust eine weitere Reise zu unternehmen? Wir haben eine neue Art der Navigation entwickelt, die Sextanten, Kompaß und Karten völlig überflüssig macht und keiner mathematischen Kenntnisse bedarf. Sie werden also zum ersten Mal so eine Seefahrt richtig genießen können! Wenn sie unser Instrument testen und für gut befinden, dann werden wir die Kosten für die Reise übernehmen. Hochachtungsvoll, Ihre Manufaktur für Wegfindungsgeräte TomTom & Co 'Wie soll das funktionieren? ', zweifelt Kolumbus, 'aber egal, für mich wäre es genau das, was ich jetzt bräuchte!' Und er schreibt an diese Manufaktur, daß er ihr Angebot annehmen würde. Er wüßte zwar noch nicht ganz genau, wohin seine Expedition gehen soll, aber das würde sich schon herausstellen. In einer Woche sollten die Segel gehißt werden. Wie er dann nach einer Woche zum Hafen kommt und sein Schiff mit den nötigen Vorräten füllen will, da steht auch ein Mann am Kai, der so aussieht, als würde er gar nicht dorthin gehören: Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Krawatte und Aktentasche – weder ein Seemann noch einer der reisenden Kaufleute. Er fragt nach Admiral Christoph Kolumbus und ist hocherfreut, ihn gleich gefunden zu haben. Er spricht ihn an: "Guten Tag, ich komme von der Navigationsfirma TomTom. Haben Sie einen Moment Zeit? Dann werde ich Ihnen unser neues Gerät einbauen und Sie einweisen." "Ja, natürlich“, bekommt er zur Antwort, „ich bin sehr gespannt!" Und er führt den Mann in die Kabine. Der sagt zu ihm: "Jetzt schließen Sie mal alle Karten, Sextanten, Kompasse und Fernrohre in eine Truhe ein! Hier ist unser Gerät, das ersetzt alle auf einmal." Er öffnet seine schwarze Aktentasche und zieht ein silbernes Kästchen hervor. "Sehen Sie, Herr Admiral, so funktioniert es: Sie brauchen bloß dem Gerät zu sagen, wo die Reise hingehen soll, und es gibt Ihnen die richtigen Befehle. Selbst wenn ein Sturm aufziehen sollte, wird es Sie bereits vorher warnen und Ihnen sagen, wie Sie ihm aus dem Weg gehen können." Anschließend werden noch zwei Lautsprecher montiert, einer am Mastkorb und der andere bei der Kommandobrücke. Damit verabschiedet sich der Vertreter der Manufaktur TomTom. Kolumbus läßt die Segel setzen und legt ab, aber wie er aus dem Hafen heraus fährt, weiß er immer noch nicht wohin. Er denkt an den König und seufzt nur: "Ich muß einen Ort finden, wo es keine Mathematik gibt!" Gleich darauf fährt er zusammen. Das silberne Kästchen fängt an zu piepsen und es blinken kleine Lichtlein daran auf. Dann krächzt es aus dem Lautsprecher: "Wir werden jetzt immer Richtung Süden fahren. Wenden Sie das Steuerruder dazu nach links!" Kolumbus tut wie ihm geheißen, und nach einer Weile tönt es wieder: "Das Ruder gerade, mit vollen Segeln geradeaus!" Wochenlang meldet sich dann das Maschinchen nur, wenn sich der Wind dreht und befielt ihm, das Steuer weiter nach links oder rechts zu drehen oder dieses oder jenes Segel einzuziehen. Schließlich tönt es: "In drei Stunden erreichen Sie die südafrikanische Küste. Ich werde Sie in den Hafen von Port Elisabeth führen." Und der Apparat empfiehlt ihm weiter, am nächsten Morgen vor der Küste die Netze auszuwerfen und Fische zu fangen. Admiral Kolumbus findet das entwürdigend für einen richtigen Seemann, der mit Ungeheuern kämpfen will. Aber einer der Matrosen an Bord, der das auch über den Lautsprecher gehört hat, denkt sich 'Wer weiß, wozu das gut ist?' und fährt bei Tagesanbruch mit einem der kleinen Fischerboote und einem Netz hinaus. Und was sieht er nach einer halben Stunde darin zappeln? Etwas wie eine große Kröte, aber mit acht langen Beinen ohne Füße. "Das ist ein absonderlich Wesen!" ruft er aus, "Das muß ich unsrem Käpten zeigen!", und fährt damit zurück zum Schiff. Kapitän Kolumbus beginnt dort zu zweifeln, ob dieses silberne Kästchen wirklich das richtige gewesen ist für ihn und ihn zu seinem Ziel führen würde. Doch als der Matrose hereinkommt, ihm dieses Wesen zeigt und erzählt, wie es sich zugetragen hat, da ist er wieder voll bei der Sache und belehrt ihn: "Du bist noch nicht lange zur See gefahren, aber ich kenne diese Tiere. Man nennt sie Oktopoden - Achtbeiner." Und dann murmelt er weiter in seinen Bart: "Acht Beine – das ist immerhin schon weniger Mathematik als zehn Finger! Aber normalerweise leben diese Tiere nicht in diesen Gewässern - dieses hier muß ein Fremder ausgesetzt haben, der aus einem Land stammt, wo man mit weniger Mathematik auskommt. Laßt uns das schöne Tier befragen!" Und er wendet sich dem Oktopoden zu, den er mittlerweile in eine große Wanne mit Wasser gesetzt hat und versucht mit ihm zu reden: "Woher kommst Du?" fragt Kolumbus und setzt ihm dann einen großen Globus ins Wasser. Der Krake - so würden diese Tiere auch genannt, hat er dem Matrosen erklärt - kriecht einmal darum herum und bleibt schließlich auf einer Stelle sitzen. „Aber, aber, das kann doch nicht sein!", ruft Kolumbus aus, "das ist ja Europa! Dann hätte ich ja gar nicht diese lange Reise machen müssen!" Doch der Krake bleibt fest sitzen und bei dem Stichwort Europa hat sich das silberne Kästchen bereits wieder eingeschaltet und es ertönt: "Bitte wenden Sie und halten Sie sich dieses Mal rechts!" Also fügt er sich seinem Schicksal und reist wieder wochenlang zurück. Doch als er wieder in Spanien anlegen möchte, spricht das Gerät: "Nicht hier, es geht noch weiter nach Norden! Halten Sie sich weiter links und dann wieder rechts!" Dieses Spielchen wiederholt sich einige Male, bis der Apparat schließlich ruft: "So, wir kommen jetzt gleich in Deutschland an, im Hafen von Hamburg. Sie müssen nun Ihre Suche an Land fortführen, der Oktopus kann Ihnen dabei behilflich sein." 'Ein Seemann zu Lande!' Bei diesem Gedanken wird Kolumbus schon beinahe seekrank.. Aber gehorsam nimmt er den Kraken in einem kleineren Gefäß unter den Arm und hält eine der merkwürdigen Kutschen an, die nahe am Hafen warten. Er will den Kutscher eigentlich fragen, wo es denn hier den Ort ohne Mathematik gibt, da sieht der das Tier und ruft aus: "Das ist ja Paul! Da wird sich Günter aber freuen, wenn er ihn wiedersehen kann!" "Günter - ist das ein Mathematikus?" "Nee, nix Mathematikus", lacht der Kutscher, "das ist ein Fußballer, der rechnet nur mit Siegen - oder auch nicht." "Können Sie mich zu ihm fahren?", fragt Kolumbus weiter, "Dann kann ich ihm das Tier selbst zurückgeben." "Na klar, steigen Sie ein!" Und Kolumbus sieht, daß diese Kutschen ebenfalls solche silbernen Kästchen haben. Nach ein paar Stunden Fahrt hält der Kutscher an und sagt stolz zu Kolumbus: "Wir sind da. Hier ist der ehemalige Arbeitsplatz des Oktopus. Ihm zu Ehren haben sie hier sogar die Schulzeit auf acht Jahre herabgesetzt. Und seitdem ist es die Stadt mit der wenigsten Mathematik!" Wie Kolumbus aussteigt, sieht er nur ein großes Schild: Kolumbus ist glücklich, so nahe am Ziel zu sein und will nun den König sprechen, um ihn zu fragen, wie er das schafft - ganz ohne Mathematik. Er wendet sich nochmals an den Kutscher und fragt ihn: "Wer ist hier der König, wo kann ich mich zur Audienz anmelden?" "Ha ha, Sie sind ein Spaßvogel, bei uns gibt es keinen König - wußten Sie das nicht? Oder Moment mal-" sagte er dann mit einem Blick auf den Kraken, "Sie meinten doch nicht etwa den?" "Au weia" sagt sich unser guter Admiral, "Ist es schon soweit mit der Mathematik gekommen? Und was sage ich jetzt unserem König? Wird der sich wirklich darüber freuen?" [Bernhard, der auch Zweifel daran hat]
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