Lokalisierung von Moduln und RingenDie grundlegende Idee bei der Lokalisierung eines Ringes nach einem System von Elementen besteht darin, dass man diese Elemente invertierbar machen möchte. Normalerweise sind für die Konstruktion recht viele Rechnungen nötig. In diesem Artikel bespreche ich Lokalisierungen von Moduln und Ringen in einem allgemeineren kategoriellen Rahmen und erkläre, wie man damit auf die Rechnungen größtenteils verzichten kann. Und obwohl die Lokalisierungen abstrakt konstruiert werden, kann man aus der definierenden universellen Eigenschaft die explizite Gestalt der Elemente herleiten. Das scheint recht unbekannt zu sein.1. Lokalisierung in einer KategorieInvertieren eines Endomorphismus.Wir werden die Sprache der Kategorientheorie benutzen, vor allem Kolimites und Adjunktionen. Das Anliegen der Lokalisierung kann man recht allgemein formulieren: Wir haben einen Endomorphismus eines Objektes einer Kategorie und möchten diesen invertierbar, d.h. zu einem Automorphismus machen. Um dies möglichst prägnant zu formulieren, führen wir die folgenden Kategorien ein:
Definition. Sei eine Kategorie. Dann haben wir die Kategorie , deren Objekte Paare sind, wobei ein Objekt und ein Endomorphismus ist. Ein Morphismus ist ein Morphismus mit :
Die volle Unterkategorie besteht aus den , für die ein Automorphismus ist.
Beispiel. Sei ein Ring. Dann ist und . Das erklärt auch die allgemeine Notation . Diese Isomorphismen sind zum Beispiel in der Normalformentheorie von Bedeutung und motivieren, selbst wenn man nur für Vektorräume und deren Endomorphismen interessiert ist, das Studium von beliebigen Moduln. Im Folgenden kann man sich an diesem Beispiel orientieren.
Bemerkung. Es habe Koprodukte. Dann besitzt der Vergissfunktor einen linksadjungierten Funktor . Ebenso besitzt der Vergissfunktor einen linksadjungierten Funktor .
Beweis. Wir setzen , wobei die Inklusion des -ten Summanden ist und der "Shift" durch definiert sei. Für ist dann ein Morphismus dasselbe wie eine Familie von Morphismen mit für alle . Das reduziert sich also auf , was zu zeigen war. Ganz ähnlich funktioniert . QED
Lemma. Es habe gerichtete Kolimites. Dann besitzt die Inklusion einen linksadjungierten Funktor .
Beweis. Sei gegeben. Definiere wie folgt: Es sei der Kolimes der Folge
Die -te Kopie von in dieser Folge bezeichnen wir einmal mit . Dann gibt es für alle einen Morphismus und es gilt .
Die Morphismen sind kompatibel, denn . Also gibt es genau einen Morphismus mit für alle . Die Morphismen sind kompatibel, also gibt es genau einen Morphismus mit für alle . Wir behaupten, dass zu invers ist. Dazu berechnen wir
Daraus folgt . Damit ist gezeigt. Wir erhalten einen Funktor .
Nun sei . Ein Morphismus ist ein Morphismus mit , äquivalent für alle . Das ist dasselbe wie eine Familie von Morphismen mit sowie für alle . Für alle folgt , d.h. für alle gilt . Hat man umgekehrt einen Morphismus mit gegeben und definiert , so gelten die obigen Gleichungen.
Damit ist eine natürliche Bijektion zwischen Morphismen und Morphismen hergestellt. QED
Definition. Sei und ein Endomorphismus. Wir nennen das unterliegende Objekt von in die Lokalisierung von nach und bezeichnen es mit . Konkret ist also .
Ganze Zahlen. Als Beispiel betrachten wir die Lokalisierung im Falle . Betrachte die Menge der natürlichen Zahlen zusammen mit der Nachfolger-Abbildung . Diese ist zwar injektiv, aber nicht surjektiv. In der Lokalisierung wird invertierbar gemacht. Anschaulich gesagt fügt man also auch Vorgänger hinzu, zum Beispiel , aber dann auch , usw. Es muss sich also um die Menge der ganzen Zahlen handeln. Und dies kann sogar als Definition von dienen! Aus der universellen Eigenschaft von (Rekursion, siehe hier) folgt leicht eine universelle Eigenschaft von (beidseitige Rekursion) und damit alles weitere über ganze Zahlen.
Mehrere EndomorphismenSei eine beliebige Menge und eine Kategorie. Es sei die Kategorie der Paare , wobei und eine Familie von Endomorphismen ist, welche paarweise miteinander kommutieren. Das motivierende Beispiel ist wieder . Definiere analog zu vorher die volle Unterkategorie . Die Adjunktionen übertragen sich: Für ist mit einem geeigneten Shift. Für die Variante mit nimmt man in der Indexmenge.
Die Inklusion hat einen linksadjungierten Funktor: Gegeben mit , sei der Pushout all der Morphismen , . Weil mit kommutiert, setzt sich zu einem Endomorphismus von fort. Weil dies für alle geht, setzt sich zu einem Endo-, sogar Automorphismus von fort. Wir erhalten damit ein Objekt von , dessen universelle Eigenschaft offensichtlich ist. Wir nennen die Lokalisierung von nach .
Alternativ kann man wie folgt konstruieren: Es ist der gerichtete Kolimes der , wobei die endlichen Teilfamilien von durchläuft (die universellen Eigenschaften sind dieselben). Wenn nun die Komposition all der Endomorphismen aus ist, so hängt dies nicht von der Reihenfolge ab und es ist genau dann ein Isomorphismus, wenn alle Endomorphismen aus es sind. Daher stimmen die universellen Eigenschaften von und überein, d.h. .
2. Lokalisierung von ModulnExistenz und universelle Eigenschaft.Sei ein kommutativer Ring und eine Teilmenge. Jeder -Modul besitzt die Endomorphismen für . Sofern diese invertierbar sind, sei der Bruch für das eindeutig bestimmte Element mit . Man prüft nun die Bruchrechenregeln
nach. Zum Beispiel ergibt sich die erste Gleichung aus
Ist nun ein beliebiger -Modul, für den die nicht notwendigerweise invertierbar sind, so können wir die Theorie aus Abschnitt 1 auf die Kategorie anwenden und bekommen einen -Modul , für den diese Endomorphismen invertierbar werden, zusammen mit einem Homomorphismus . Es besteht die folgende universelle Eigenschaft: Für -Moduln , für die für alle ein Automorphismus ist, setzt sich jeder Homomorphismus eindeutig zu einem Homomorphismus fort, d.h. .
Wie sehen die Elemente aus?Unsere abstrakte Konstruktion der Lokalisierung lässt zunächst die Frage offen, wie die Elemente von aussehen. Allerdings können wir das anhand der universellen Eigenschaft ablesen: Natürlich gilt , wobei das von erzeugte Untermonoid von ist (die universelle Eigenschaften stimmen überein). Wir können daher annehmen, dass ein Untermonoid ist. Wir schreiben und können in die Brüche bilden. Die Gesamtheit dieser Brüche ist nach den Bruchrechenregeln oben ein -Untermodul von . Andererseits erfüllt er dieselbe universelle Eigenschaft; daher stimmt er mit überein.
Jedes Element von hat daher die Form mit , . Wie bereits bemerkt, kann mit diesen Brüchen wie üblich gerechnet werden.
Wann sind zwei Brüche gleich?Es gilt genau dann, wenn im Kern von liegt. Wir behaupten, dass der Kern von genau aus den besteht, für die ein mit existiert. Die Rückrichtung ist klar: Aus folgt und daher . Sei umgekehrt im Kern. Weil der gerichtete Kolimes der ist, wobei die endlichen Teilmengen von durchläuft, gibt es eine endliche Teilmenge , für die im Kern von liegt (hier benutzen wir die explizite Konstruktion von gerichteten Kolimites!). Wenn nun das Produkt all der Elemente aus ist, so gilt . Unsere Konstruktion war mit für alle . Die explizite Konstruktion des gerichteten Kolimes zeigt nun, dass es ein gibt, sodass im Kern von liegt. Das bedeutet aber , sodass wir fertig sind.
Somit gilt genau dann, wenn es ein gibt mit .
Wenn aus regulären Elementen besteht (d.h. für ), so vereinfacht sich dieses Kriterium zu , wie man es also gewohnt ist. Wenn aber , so gilt . Teilen durch Null ist insofern erlaubt, aber langweilig.
Vergleich.Üblicherweise wird zunächst als Menge durch definiert, wobei die Relation durch gdw. definiert ist. Dann muss man aber zeigen, dass (a) eine Äquivalenzrelation ist, (b) die Addition und Skalarmultiplikation auf wohldefiniert sind, (c) damit ein -Modul wird, (d) die Äquivalenzklasse von tatsächlich den oben definierten Bruch darstellt, (e) die universelle Eigenschaft erfüllt ist. Das ist mit etlichen Rechnungen verbunden.
Das Vorgehen ist hier nun umgekehrt: Die universelle Eigenschaft steht an erster Stelle. Die Konstruktion einer Lösung des universellen Problems, Elemente oder allgemeiner Endomorphismen zu invertieren, folgt ganz einfachen allgemeinen kategoriellen Prinzipien. Am Schluss kann man sogar aus der universellen Eigenschaft herleiten, wie die Elemente der Lokalisierung eines Moduls aussehen und wann sie gleich sind. Die explizite Gestalt ergibt sich also synthetisch aus dem Ziel der gesamten Konstruktion! Darüber hinaus steht uns die Lokalisierung aus Abschnitt 1 auch in anderen Kategorien zur Verfügung.
Vertauschung mit Tensorprodukt.Sei ein Ring und eine Teilmenge. Für -Moduln gibt es einen kanonischen Isomorphismus ;
für -Moduln , auf denen invertierbar wirkt, gilt nämlich
Der Isomorphismus bildet explizit ab.
3. Lokalisierung von RingenUniverselle Eigenschaft.Die betrachteten Ringe seien kommutativ, wenn nicht anders vermerkt.
Sei ein Ring und eine Teilmenge. Wir möchten die Elemente von invertieren. Dies ist zwar in eventuell nicht machbar, aber das Ziel ist, dies in einer universellen -Algebra zu erreichen. Genauer gesagt soll gelten und wann immer ein Ringhomomorphismus die Eigenschaft besitzt, so gibt es genau einen Homomorphismus von -Algebren , d.h. genau einen Homomorphismus von Ringen mit . Noch kompakter formuliert: Es sei eine Darstellung des Funktors
Existenz über Moduln.Wir können den -Modul nach lokalisieren und erhalten den -Modul . Wir können darauf eine -bilineare Multiplikation erklären mittels . Die Assoziativität und die Kommutativität folgen sofort aus der auf , indem man die entsprechenden Diagramme dafür lokalisiert. Ebenso folgt, dass ein Einselement ist. Also ist eine -Algebra, d.h. ein Ring zusammen mit einem Ringhomomorphismus .
Für eine -Algebra ist genau dann invertierbar, wenn . Die universelle Eigenschaft von als Modul wird dann zur gewünschten universellen Eigenschaft als Ring.
Wir kennen bereits die Elemente des -Moduls und wissen, wie man sie addiert und skaliert. Aus der Definition der Multiplikation folgt außerdem die Bruchrechenregel
In dem üblichen Vorgehen wird zunächst als Menge definiert und dann erfordern die Wohldefiniertheit der Addition und der Multiplikation sowie die Ringeigenschaften einige Rechnungen. Diese entfallen hier.
Existenz über Erzeuger und Relationen.Es gibt eine andere Möglichkeit, die Lokalisierung zu konstruieren. Wir wollen ja für jedes ein Element zu hinzufügen, welches das Inverse von "spielen" soll, d.h. wir möchten die Relation erzwingen. Dies motiviert, die -Algebra zu betrachten. Aus den universellen Eigenschaften von Polynomalgebren und Quotienten folgt für jeden Testring :
Damit löst das universelle Problem. Aus der expliziten Gestalt der Elemente von Polynomalgebren und Quotienten kann man übrigens auch diejenige der Elemente von herleiten; siehe dazu die Notiz Rings of fractions the hard way von José Felipe Voloch, Link zur pdf.
Zusammenhang zur Lokalisierung von Moduln.Die universelle Eigenschaft von besteht sogar für nicht-kommutative Ringe: Ist ein Homomorphismus mit , wobei ein eventuell nicht-kommutativer Ring ist, so gibt es genau einen Homomorphismus mit . Dazu wende man die bekannte universelle Eigenschaft auf den kommutativen(!) Teilring von an.
Wendet man dies auf für einen -Modul an, so folgt: Ein -Modul ist dasselbe wie ein -Modul, auf dem durch Automorphismen wirkt. Daher sind sowohl als auch linksadjungiert zum Vergissfunktor und es folgt
Explizit wird hierbei abgebildet.
4. SchlussWir haben die Lokalisierung von Moduln und Ringen durch ihre universelle Eigenschaft definiert, abstrakt konstruiert und daraus die Gestalt der Elemente hergeleitet. Was allgemeine Zusammenhänge angeht, kann man aber meistens auf die Elemente verzichten und viel eleganter mit der universellen Eigenschaft arbeiten. Siehe dazu hier, Thema C. Die universelle Eigenschaft ist also nützlich in der Praxis, und daraus motiviert sich auch, dass sie der Definition zugrunde gelegt wird.
Noch ein paar weiterführende Bemerkungen:
- Die Kategorie aus Abschnitt 1 ist über angereichert. Der Übergang zu entspricht einer Anreicherung über , und man kann sich die Lokalisierung als "externes Tensorprodukt mit " vorstellen. Insofern ist die "universelle" Lokalisierung.
- Die Existenz von Lokalisierungen von Moduln und Ringen kann man alternativ sehr einfach mit Hilfe des Kriteriums von Freyd für darstellbare Funktoren herleiten, welches ich hier in Abschnitt 2 besprochen habe.
- Die Lokalisierung von kommutativen Ringen auf Basis der Lokalisierung von Moduln funktioniert viel allgemeiner in symmetrischen monoidalen Kategorien. Für erhält man zum Beispiel die Lokalisierung von kommutativen Monoiden, welche als Spezialfall die Grothendieck-Gruppe enthält und außerdem Anwendungen in der Theorie der Schemata über besitzt.
- Man kann auch nicht-kommutative Monoide oder Ringe lokalisieren. Die Existenz folgt aus Freyds Kriterium, allerdings sehen die Elemente nur unter gewissen Bedingungen wie gewohnt aus.
- Noch allgemeiner kann man Kategorien lokalisieren; die klassische Literatur hierzu ist Gabriel-Zisman, Calculus of fractions and homotopy theory. Für (lineare) Kategorien mit nur einem Objekt bekommt man daraus die Lokalisierung von nicht-kommutativen (Ringen) Monoiden als Spezialfall.
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