
Quaternionen und Möbiustransformationen
Von: Gestath
Datum: Fr. 27. Januar 2023 19:43:49 Thema: Analysis
| Quaternionen und Möbiustransformationen
Sei H die Menge der Quaternionen und S^2=menge(x \el\ H, abs(x)=1, x=-x^-) die Menge der reinen Quaternionen mit Betrag 1.
Bewiesen wird der folgende Satz:
Eine Möbiustransformation f: S^2->S^2 hat die Gestalt:
f(x)=(ax-b)(bx+a)^(-1), a,b \el\ H, a<>0 oder b<>0 , b^(-1)*a \notel\ S^2
Abschließend wird noch eine koordinatenfreie Definition von reellen Unterräumen in einem komplexen projektiven Raum angerissen.
Sei V ein zweidimensionaler Vektorraum über \IC. Die Menge aller eindimensionalen Unterräume von V ist dann der projektive Raum P(V):
P(V)=menge(v*\IC, v\el\ V-menge(0))
Eine invertierbare \IC\-lineare Abbildung f bestimmt dann eine Möbiustransformation auf P(V)
f: P(V) -> P(V), v*\IC \mapsto f(v)*\IC
Setzt man V dann konkret gleich \IC \times \IC, kommt man auf die gebrochen linearen Transformationen oder Möbiustransformationen auf \IC\union\ menge(\inf).
Eine Zusammenfassung dazu findet man bei Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Möbiustransformation
Diese Wahl von V ist aber kein Naturgesetz. Wenn man für V die Quaternionen wählt, ergibt sich eine schöne Darstellung der Möbiustransformationen als Abbildungen S^2->S^2.
Dazu werden die invertierbaren \IC\-linearen Abbildungen von H auf H bestimmt und die Abbildung H-menge(0)-> S^2, x \mapsto x*i*x^(-1) untersucht, die uns u.a. die Abbildung P(H)-> S^2 gibt.
Bezeichnungen
Es sei H=menge(x_0+x_1*i+x_2*j+x_3*k, x_n \el\ \IR) die Menge der Quaternionen. Wir denken uns \IC in H eingebettet vermöge
a+bi \el\ \IC \mapsto a+bi \el\ H; a,b \el\ \IR
Dann machen wir H zu einem \IC\-Vektorraum. Die Skalarmultiplikation H \times \IC -> H wird so definiert:
(z,a) -> z*a
z*a steht hierbei für das Produkt in den Quaternionen.
P(H)=menge(v*\IC, v \el\ H-menge(0)) ist dann der zu H gehörende eindimensionale komplexe projektive Raum.
Weiterhin sei S^2=menge(x \el\ H, abs(x)=1, x=-x^-) die Menge der reinen Quaternionen mit Betrag 1.
Eine interessante Abbildung
Die Abbildung
\Pi: H-menge(0)-> H, x \mapsto x*i*x^(-1)
spielt die Hauptrolle, und wir wollen die wichtigsten Eigenschaften zusammenstellen:
\big\Lemma.
1) Für \alpha\el\ \IC gilt: \Pi(x\alpha)=\Pi(x)
2) \Pi(x)=\Pi(y) <=> x*y^(-1) \el\ \IC
3) Sei y\el\ S^2-menge(-i). Dann gilt y=\Pi(y+i)=(y+i)*i*(y+i)^(-1)
4) Im(\Pi)=S^2
Beweis:
1) Weil \alpha\el\ \IC und i vertauschbar sind, gilt:
\Pi(x\alpha)=x\alpha*i*(x\alpha)^(-1)= x\alpha*i*\alpha^(-1)*x^(-1)=x\alpha*\alpha^(-1)*i*x^(-1)=x*i*x^(-1)=\Pi(x)
2) Es gilt \Pi(x)=\Pi(y) <=> x*i*x^(-1)=y*i*y^(-1) <=> y^(-1)*x=i*y^(-1)*x*i^(-1) <=> y^(-1)*x\el\ \IC
3) Sei y\el\ S^2-menge(-i). Dann gilt:
y=(y+i)*i*(y+i)^(-1) <=> (y+i)*i=y(y+i) <=> yi-1=-1+yi, da y^2=-1
4) Wir beweisen zuerst Im(\Pi)\subsetequal\ S^2.
Aus \Pi(x)^2=xix^(-1)*xix^(-1)=-1 folgt abs(\Pi(x))=1, und \Pi(x) ist ein reines Quaternion, also \Pi(x) \el\ S^2
Aus 3) folgt, dass nur noch ein Urbild für -i gefunden werden muss. Es gilt aber \Pi(j)=j*i*j^(-1)=-i. \bigbox
\big\Korollar.\normal Die Abbildung \Pi gibt uns eine bijektive Abbildung
\pi: P(H)->S^2, x*\IC \mapsto xix^(-1).
Bestimmung der invertierbaren $\IC$-linearen Abbildungen von $H \to H$
Wir wollen jetzt beweisen: Die Menge aller invertierbaren \IC\-linearen Abbildungen H -> H ist
GL(H)=menge(f:H->H, f(x)=ax+bxi, a,b \el\ H, a<>0 oder b<>0, b^(-1)*a \notel\ S^2).
Dazu wollen zuerst alle \IC\-linearen Abbildungen von H -> H bestimmen und danach alle invertierbaren Abbildungen.
\big\Lemma.\normal Die Menge L(H) aller \IC\-linearen Abbildungen H -> H ist
L(H)=menge(\phi:H->H, \phi(x)=ax+bxi, a,b \el\ H).
Beweis: Zur Linearität der Abbildung \phi: Man beachte, dass i und \lambda \in \IC vertauschbar sind. Zu zeigen ist für x,y \el\ H und \lambda\el\ \IC:
\phi(x+y\lambda)=\phi(x)+\phi(y)\lambda.
Nun ist
\phi(x+y\lambda)=a*(x+y\lambda)+b*(x+y\lambda)*i=ax+ay\lambda+bx*i+by\lambda*i
=ax+bxi+ay*\lambda+by*i*\lambda=\phi(x)+\phi(y)\lambda.
Weiterhin ist L(H) ein Vektorraum und eine \IC\-Basis von L(H) besteht z. B. aus den Elementen \phi_1, \phi_2, \phi_3 und \phi_4
mit \phi_1(x)=x, \phi_2(x)=ixi, \phi_3(x)=jx, \phi_4(x)=kxi
Das erkennt man leicht in der Matrixdarstellung der \phi2_i zur \IC\-Basis menge(1, j) von H.
Da jedes Element aus L(H) linear ist und L(H) ein vierdimensionaler komplexer Vektorraum ist, muss L(H) die gesamte Menge aller \IC-linearen Abbildungen sein. \bigbox
Wir bestimmen jetzt die Menge der nicht invertierbaren linearen Abbildungen aus L(H).
\big\Lemma.\normal Sei \phi \el\ L(H) mit \phi(x)=ax+bxi. Dann ist \phi nicht invertierbar <=> b^(-1)*a\el\ S^2.
Beweis: Es ist \phi nicht invertierbar <=> Es existiert ein 0 != x \el\ H mit \phi(x)=0.
Zu lösen ist also die Gleichung ax+bxi=0 für ein x<>0 <=> bxi=-ax <=> xix^(-1)=-b^(-1)*a.
Diese Gleichung hat wie im Abschnitt zuvor gesehen genau dann eine Lösung ungleich Null, wenn b^(-1)*a \el\ S^2. \bigbox
Damit ist bewiesen:
Die Menge aller invertierbaren \IC-linearen Abbildungen H -> H ist
GL(H)=menge(f:H->H, f(x)=ax+bxi, a,b \el\ H, a<>0 oder b<>0, b^(-1)*a \notel\ S^2).
Berechnung der Gruppe der Möbiustransformationen auf der Sphäre
Wir haben die bijektive Abbildung
\pi: P(H)->S^2, x*\IC \mapsto xix^(-1).
Und eine invertierbare \IC\-lineare Abbildung
A: x \mapsto ax+bxi
repräsentiert eine Möbiustransformation. Insgesamt ergibt sich folgende Abbildung f: S^2 -> S^2:
f := \pi\circ\ A\circ\ \pi^(-1),
S^2 \contains\ y=xix^(-1) \mapsto x \cdot \IC \el\ P(H) \mapsto (ax+bxi) \cdot \IC \el\ P(H) \mapsto (ax+bxi)*i*(ax+bxi)^(-1)=f(y) \el\ S^2
Letztendlich ist also (ax+bxi)*i*(ax+bxi)^(-1) nur noch auszurechnen unter Beachtung von y=xix^(-1):
(ax+bxi)*i*(ax+bxi)^(-1)=(axi-bx)x^(-1)*x*(ax+bxi)^(-1)
=(axix^(-1)-b)*((ax+bxi)*x^(-1))^(-1)
=(axix^(-1)-b)*(a+bx*i*x^(-1))^(-1)
=(ay-b)*(by+a)^(-1)
Zusammenfassung:
Die Menge der Möbiustransformationen wird repräsentiert durch
menge(f: S^2->S^2, f(y)=(ay-b)(by+a)^(-1), a, b \el\ H nicht beide zugleich 0 und b^(-1)*a \notel\ S^2).
Eine geometrische Interpretation der Abbildung $\Pi$
Zum Abschluss soll noch eine geometrische Interpretation der Abbildung
\Pi: H-menge(0)->S^2, x \mapsto xix^(-1)
erfolgen.
Sei S^3=menge(x\el\ H, abs(x)=1) die dreidimensionale Sphäre. Weiter kann man H auch als reellen Vektorraum betrachten. Dann ist P\IR(H)=menge(x*\IR, x \el\ H-menge(0)) der reell dreidimensionale projektive Raum über H, der oft auch identifiziert wird mit S^3//menge(+-1).
Dann haben wir eine Zerlegung:
\Pi: H-menge(0) -> S^3 -> P\IR(H) -> P(H) \to S^2
x \mapsto x/abs(x) \mapsto x*\IR \mapsto x*\IC \mapsto xix^(-1)
Man kann \Pi also auch als Abbildung von P\IR(H) nach P(H) ansehen.
Das klärt allerdings noch nicht, wo die Sphäre S^2 "lebt". Mit folgender Interpretation fristet S^2 sein Dasein im eindimensionalen projektiven Raum über den Quaternionen.
Eine kurze allgemeine Vorbetrachtung:
Sei V ein 2\-dimensionaler H\-Vektorraum über den Quaternionen H. Multiplikation schreibe ich von rechts, also es gibt eine Abbildung
V \times H -> V, (v,\lambda) \mapsto v\lambda
mit den entsprechenden Vektorraumeigenschaften.
Mit P(V) wird der Raum aller eindimensionalen Unterräume von V bezeichnet.
Also P(V)=menge(v*H, v\el\ V-menge(0))
Wie oben können wir V genau so gut als vierdimensionalen komplexen Vektorraum betrachten und haben dann den komplex dreidimensionalen projektiven Raum P\IC(V)=menge(v*\IC, v\el\ V - menge(0)).
Wieder hat man eine Projektion
\Pi: V-menge(0) -> P\IC(V) -> P(V)
x \mapsto x*\IC \mapsto x*H
Sei nun V=H \times H. Wir betrachten den komplex zweidimensionalen Unterraum U := menge((x,-xi), x\el\ H) \subsetequal H \times H.
Das ist nur ein komplexer Unterraum, kein Unterraum als Vektorraum über den Quaternionen.
Dann ist \Pi(x, -xi) = (x,-xi)*H= (x, -xi)*(i*x^(-1) *H)=(xix^(-1), 1)*H.
Oder in projektiven Koordinaten:
(x,-xi)*\IC \el\ P\IC(H \times H) \mapsto (x : -xi) = (xix^(-1) : 1) \el\ P(H \times H)
Oder als Abbildung H-menge(0) -> H \times H -> P\IC(H \times H) -> P(H \times H):
x \mapsto (x, -xi) \mapsto (x, -xi)*\IC \mapsto (x, -xi)*H= (xix^(-1) : 1) \el\ P(H \times H)
Die Abbildung P\IC(H \times H) -> P(H \times H), (x,y)*\IC \mapsto (x,y)*H ist natürlich nicht injektiv, allerdings wird der Teilraum menge((x,-xi)*\IC, x\el\ H-menge(0)) injektiv als S^2 in P(H \times H) eingebettet.
Anhang: Was sind eigentlich reelle Unterräume in einem komplexen projektiven Raum?
Im Falle der klassischen Möbiustransformationen hat man ja die Wortschöpfung des "verallgemeinerten Kreises" (en.wikipedia.org/wiki/Generalised_circle). Der Begriff hat verschiedene Nachteile. U.a. kann man ihn schwer verallgemeinern, und es ist nicht klar, was ein "verallgemeinerter Kreis" denn in einem eindimensionalen (oder n-dimensionalen) komplexen projektiven Raum eigentlich sein soll. Eine mögliche Definition von Unterräumen soll noch kurz angerissen werden.
\
Sei V ein (n+1)\-dimensionaler Vektorraum über \IC. Dann ist der n\-dimensionale projektive Raum P(V) definiert als die Menge aller eindimensionalen Unterräume von V.
P(V)=menge(v*\IC, v\el\ V-menge(0))
Man hat also eine natürliche Projektion
V-menge(0)->P(V), v \mapsto v*\IC \el\ P(V).
Man kann V auch als (2n+2)\-dimensionalen Vektorraum über \IR betrachten und den (2n+1)\-dimensionalen projektiven Raum P\IR(V)=menge(v*\IR, v\el\ V-menge(0)) bilden.
Man hat dann ebenfalls eine natürliche Projektion
P\IR(V) -> P(V), v*\IR \mapsto v*\IC.
Auf P(V) operiert dann die Gruppe GL(V)//(\IC-menge(0)), und auf P\IR(V) operiert GL(V)//(\IR-menge(0)), wobei GL(V) die Gruppe der invertierbaren \IC\-linearen Abbildungen V -> V ist.
Das führt dann zu folgendem Unterraumbegriff:
\big\Definition.\normal Sei U\subsetequal P\IR(V) ein reeller projektiver Teilraum von V. Die Menge P(U)=menge(u*\IC, u\el\ U-menge(0)) heißt dann ein reeller Teilraum in P(V).
Anmerkung zur Dimension: es gibt anscheinend 2 Fälle: U=U*i und U<>U*i. Im Falle U<>U*i wäre dann die reelle Dimension von P(U) gleich dim(U)-1.
Für den Fall V= \IC \times \IC stimmt der Begriff des verallgemeinerten Kreises mit dem des eindimensionalen reellen Teilraums überein. Ein verallgemeinerter Kreis ist dann das Bild eines zweidimensionalen reellen Unterraums U (mit U<>U*i) unter der Abbildung P. Insbesondere hat man sofort die Charakterisierung, wann vier Punkte auf einem verallgemeinerten Kreis liegen: nämlich genau dann, wenn das Doppelverhältnis reell ist.
Zum Beispiel ist die Einheitssphäre S^1 das Bild des reellen Unterraums erzeugt von (-1,1) und (i,i) \el\ \IC \times \IC.
S^1=P( <(-1,1), (i,i)>)=
menge(((-\alpha+\beta*i):(\alpha+\beta*i)), \alpha,\beta \el \IR nicht beide gleichzeitig gleich Null)
Aus Distanz zu jedweder mathematischen Community frage ich mich, was an der Definition falsch sein soll oder warum diese Betrachtungsweise (so scheint es mir zumindest) so unpopulär zu sein scheint. Oder liege ich da einem Irrtum auf?
|
|