Konstruktion der Zahlenmengen - Teil 2
Von: Martin_Infinite
Datum: So. 22. August 2004 00:00:08
Thema: Mathematik


Konstruktion der Zahlenmengen - Teil 2 Ordinalzahlarithmetik
In diesem Teil wollen wir uns anschauen, wie man Ordinalzahlen, also insbesondere die natürlichen Zahlen, addiert und multipliziert und einige Rechengesetze nachweisen. Selbst 1 + 1 = 2 wird dabei nicht unbewiesen bleiben.
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Vorüberlegungen
Wir betrachten erst zwei natürliche Zahlen m,n. Was soll anschaulich gesehen m+n sein? Nun, m ist diejenige natürliche Zahl mit m Elementen, und n diejenige mit n Elementen. Dann soll wohl m+n diejenige mit m+n Elementen sein. Also muss man die Elemente von m und n aneinanderhängen, und zwar zuerst m und danach n. Wir geben deren Positionen sinnvolle Namen, etwa 0 und 1, und erhalten damit die Menge m \times {0} \union n \cross {1} die durch die Koppelung der Wohlordnungen m und n auch wohlgeordnet ist. Wir wollen natürlich eine Ordinalzahl für das Ergebnis der Summe haben, und bilden dafür noch den Ordnungstyp dieser Wohlordnung. Und was soll m*n sein? Anschaulich gesehen können wir dafür aus den n Elementen von n und den m Elementen von m ein Elementegitter mit der Breite von n und Höhe von m Elementen konstruieren, welches durch die Menge n x m beschrieben wird. Wir können darauf eine Wohlordnung erklären, indem die Elemente von unten nach oben und in jeder Reihe von links nach rechts geordnet werden:
Anschließend bilden wir auch hier den Ordnungstyp dieser Wohlordnung, um m*n zu erhalten. Jetzt steht uns der allgemeinen Definition der Ordinalzahlverknüpfungen und deren Vorbereitung nichts mehr im Wege.

 
Lexikografische Ordnung
define(kk,\void\ <) Seien (M_0 , \kk_0) , ... , (M_n , \kk_n) Wohlordnungen. Setze X = union(M_i \cross {i},i=0,n) Auf X definieren wir die Relation < durch (x,i) < (y,j) <=> i < j \or (i=j \and x \kk_i y) Die Struktur von (X,<) kann man sich einfach so vorstellen: | | | | | M_1 | | | | | | | M_2 | | | | | | | M_3 | | | | | | | M_n Bild Es ist leicht zu zeigen, dass (X,<) eine Totalordnung ist. Der Nachweis, dass (X,<) sogar wohlgeordnet ist, geht etwa so: Wenn man eine nichtleere Teilmenge T von X hat, so suche man unter allen M_i , die sie bedeckt, die kleinste Position aus. Das kleinste Element des zugeörigen M_i ist dann das kleinste Element von T. Diese Wohlordnung nennt man die \big\darkblue lexikografische Ordnung \normal\black der M_i . Ganz ähnlich kann man Y := M \cross M', wobei (M,<),(M',<') Wohl- ordnungen sind, wohlordnen. Definiere die Relation \sqsubset auf Y durch (a,a') \sqsubset (b,b') <=> a < b \or (a=b \and a' <' b') Der Nachweis, dass (Y,\sqsubset) eine Totalordnung ist, besteht nur aus Rechnen. Dass jede nichtleere Teilmenge T von Y ein kleinstes Element hat, sieht man so ein: Unter allen ersten Komponenten der Elemente von T gibt es ein kleinstes Element. Die kleinste zweite Komponente von T, mit der dieses kleinste Element in T liegt, ist dann das kleinste Element von T. Das lässt sich alles am obigen Elementegitter veranschaulichen.

 
Addition und Multiplikation
Für Ordinalzahlen \alpha, \beta definieren wir die Ordinalzahlen \alpha+\beta und \alpha * \beta , kurz \a\b , durch \alpha + \beta = type(\alpha \times {0} \union \beta \times {1}) \alpha * \beta = type(\beta \times \alpha) Mit dem Ordnungstypisomorphismus f:\alpha\cross {0} \union \beta\cross {1} -> \alpha+\beta gilt \alpha + \beta = menge(f(x,i)|(x,i) \in \alpha \cross {0} \union \beta \cross {1} \small = menge(\gamma |(x,i)\in\alpha \cross {0} \union \beta \cross {1}, \gamma ~= (\alpha \cross {0} \union \beta \cross {1})_(<(x,i = menge(\gamma | x \in \alpha, \gamma ~= (\alpha \cross {0} \union \beta \cross {1})_(<(x,0))) \union menge(\gamma | x \in \beta, \gamma ~= (\alpha \cross {0} \union \beta \cross {1})_(<(x,1))} = menge(\gamma | x \in \alpha, \gamma ~= \alpha_( \alpha + \beta < \alpha + \gamma \alpha + \beta < \alpha + \gamma => \beta < \gamma \alpha + \beta = \alpha + \gamma => \beta = \gamma Man kann auch eingeschränkt Ordinalzahlen subtrahieren: Sei \alpha < \beta. Dann ist \alpha \in \beta - \alpha \subsetequal \beta, womit der Ordnungstypisomorphismus f von \beta - \alpha auf \gamma := type(\beta - \alpha) ein Bild hat, also \gamma>0 ist. Definiere g : \alpha \cross \{0\} \union \gamma \cross \{1\} -> \beta durch (x,i) -> fdef(x,i=0;f^(-1)(x),i=1) Leicht verifiziert man, dass g ein Isomorphismus ist, und es folgt \alpha + \gamma = \beta. Wir haben also \alpha von \beta subtrahiert. Damit können wir ein weiteres Gesetz herleiten: Sei \alpha<\beta und \delta>0. Dann gibt es ein \gamma > 0 mit \alpha + \gamma = \beta. Wegen \delta , \gamma > 0 ist auch \delta\gamma > 0, und es folgt \delta\alpha < \delta\alpha + \delta\gamma = \delta (\alpha + \gamma) = \delta\beta Man kann also Ordinalzahlungleichungen von links mit nichtleeren Ordinalzahlen multiplizieren. Das dafür benötigte Distributivgesetz werden wir noch weiter unten zeigen. Jetzt behandeln wir das Assoziativitätsgesetz der Addition. Seien \alpha,\beta,\gamma Ordinalzahlen. Dann sind die Mengen A = \beta \cross {0} \union \gamma \cross {1} B = \alpha \cross {0} \union type(A) \cross {1} C = \alpha \cross {0} \union A \cross {1} D = \alpha \cross {0} \union \beta \cross {1} \union \gamma \cross {2} E = G \cross {0} \union \gamma \cross {1} F = type(G) \cross {0} \union \gamma \cross {1} G = \alpha \cross {0} \union \beta \cross {1} lexiografisch wohlgeordnet. Seien f: A -> type(A), g: G -> type(G) Ordnungstypisomorphismen. Nun definiere die folgenden Abbildungen: \phi : C -> B , (x,i) -> fdef((x,0),i=0;(f(x),1),i=1) \chi : C -> D , (x,i) -> fdef((x,0),i=0;fdef((pr_1(x),1),pr_2(x)=0;(pr_1(x),2),pr_1(x)=0),i=1) \pi : E -> D , (x,i) -> fdef((x,2),i=1;x,i=0) \sigma : E -> F , (x,i) -> fdef((x,1),i=1;(g(x),0),i=0) Die Nachweise, dass diese Abbildungen Isomorphismen sind, werde ich hier nicht präsentieren. Sie machen nur von den Definitionen Gebrauch und es kommen halt übermäßig viele Fallunterscheidungen vor. Mit all diesen Isomorphismen folgt \alpha+(\beta+\gamma)=type(B)~=B~=C~=D~=E~=F~=type(F)=(\alpha+\beta)+\gamma Weil isomorphe Ordinalzahlen gleich sind, ist damit das Assoziativitätsgestz gezeigt. Bei der Multiplikation geht dies ein wenig schneller: Seien f : type(\gamma \cross \beta) -> \gamma \cross \beta g : \beta \cross \alpha -> type(\beta \cross \alpha) Ordnungstypisomorphismen. Definiere \pi : type(\gamma \cross \beta) \cross \alpha -> \gamma \cross type(\beta \cross \alpha) durch \pi(x,y)=(pr_1(f(x)),g(pr_2(f(x)),y)) und \sigma : \gamma \cross type(\beta \cross \alpha) -> type(\gamma \cross \beta) \cross \alpha durch \sigma(x,y)=(f^(-1)(x,pr_1(g^(-1)(y))) , pr_2(g^(-1)(y))) Dann sind \pi und \sigma invers zueinander und damit bijektiv. Ferner kann man nachrechnen, dass \pi ordungstreu ist. Damit ist \pi ein Isomorphismus. Wegen type(type(\gamma \cross \beta) \cross \alpha)=\alpha (\beta \gamma) type(\gamma \cross type(\beta \cross \alpha))=(\alpha \beta) \gamma gilt dann \alpha (\beta \gamma) = (\alpha \beta) \gamma. Weil (\alpha \cross {0},\sqsubset) und ({0} \cross \alpha,\sqsubset) zu \alpha isomorph sind, gilt \alpha * 1 = \alpha = 1 * \alpha Ferner gilt \alpha * 0 = type(0 \cross \alpha) = type(0)= 0 = 0 0 * \alpha = 0 (analog) und aus \alpha\beta = 0 folgt \beta\cross\alpha = 0, also \alpha = 0 oder \beta = 0. Jetzt zeigen wir das weiter oben angekündigte rechtsseitige Distributivgesetz: Seien f : type(\beta \cross {0} \union \gamma \cross {1}) -> \beta \cross {0} \union \gamma \cross {1} g : \beta \cross \alpha -> type(\beta \cross \alpha) h : \gamma \cross \alpha -> type(\gamma \cross \alpha) Ordnungstypisomorphismen. Definiere die Abbildung \pi : type(\beta \cross {0} \union \gamma \cross {1}) \cross \alpha -> type(\beta \cross \alpha) \cross {0} \union type(\gamma \cross \alpha) \cross {1} durch \pi(x,a) = fdef((g(pr_1(f(x)),a),0),pr_2(f(x))=0;(h(pr_1(f(x)),a),1),pr_2(f(x))=1) Dann ist \pi ein Isomorphismus, wie man wieder mal geduldig nachrechnen kann, und es folgt \alpha(\beta+\gamma)=type(type(\beta\cross {0} \union \gamma\cross {1}) \cross\alpha) =type(type(\beta\cross\alpha) \cross {0} \union type(\gamma\cross\alpha) \cross {1})=\alpha\beta+\alpha\gamma Aus diesem Distributivgesetz folgt für \gamma=1 sofort \alpha S(\beta) = \alpha\beta+\alpha. Zum Schluss kommen wir zu den natürlichen Zahlen zurück. Induktiv kann man zeigen, dass die Ordinalzahlverknüpfungen in \IN abgeschlossen sind. Per Induktion nach x kann man außerdem nach und nach die Formeln x = 0+x, x+1 = 1+x, x+y=y+x zeigen, danach per Induktion nach y erst (x+1)y=xy+y und danach xy=yx. Damit hat man dann die Kommutativität der Ordinalzahlverknüpfungen bei natürlichen Zahlen nachgewiesen. Jetzt noch ein paar Beispielrechnungen mit natürlichen Zahlen, die ausschließlich von den bewiesenen Gesetzen Gebrauch machen: 1+1=S(1) = 2 3*4 =(3*3)+3=((3*2)+3)+3=((3+3)+3)+3 =((3+((1+1)+1))+3)+3=(((3+(1+1))+1)+3)+3 =((((3+1)+1)+1)+3)+3=(6+((1+1)+1))+3 =((6+(1+1))+1)+3=(((6+1)+1)+1)+3=9+3 =9+((1+1)+1)=(9+(1+1))+1=((9+1)+1)+1)=12 1+3=1+((1+1)+1)=(1+(1+1))+1=((1+1)+1)+1=4 Diese Rechnungen sollen jetzt nicht demonstrieren, dass wir mit Kanonen auf Spatzen schießen wollen oder gar durch diese ganze Theorie schon total rechenunfähig geworden sind , sondern dass mit unser scheinbar unnatürlichen, künstlichen Definition der Addition und Multiplikation doch alles in Ordnung ist: Es kommt tatsächlich das raus, was man auch seit der Grundschule erwarten würde. Und wir können sogar bei jeder Rechnung eine fest stehende Begründung dafür geben, warum wir welches Ergebnis erhalten, und müssen uns nicht mit einem gewohnten " Das ist halt so! " zufieden geben . Das wird bei den folgenden Teilen dieser Artikelserie genauso mit den anderen Zahlen passieren, wir werden bloß keine Beispielrechnungen mehr aufführen. Soviel zur Ordinalzahlarithmetik. Sie lässt sich auch mit transfiniter Rekursion angehen, aber da steige ich zur Zeit noch nicht durch. Einen anderen Zugang zu den natürlichen Zahlen über sog. Peano-Strukturen findet ihr hier. Nachdem wir nun das Addieren, Multiplizieren und Vergleichen mit natürlichen Zahlen vollständig definiert und charakterisiert haben, werden wir im nächsten Teil bereit sein, uns mit einer Zahlenmenge über den natürlichen Zahlen zu beschäftigen, um diese voneinander abziehen zu können.
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