
Rechenverfahren und Beweistricks
Von: continuous
Datum: Do. 10. Februar 2005 18:35:48 Thema: Mathematik
| Einfache Rechenverfahren und Beweistricks für Analyis I und Lineare Algebra I
Das Semester neigt sich so langsam dem Ende zu und für viele Erstsemestler stehen die ersten Klausuren in Analysis und Linearer Algebra an. Leider durfte ich feststellen, dass in den Klausuren fast nur Rechnerei vorkamen. Beweise treten dann oftmals nur in Zusatzaufgaben auf und diese sind dann, wenn man den Zeitrahmen betrachtet, alles andere als leicht. Deswegen hatte ich es mir mal vorgenommen ein paar allgemein nützliche Rechen- und Beweistricks zu sammeln. Es geht mir nicht darum Beweise zu wichtigen Sätzen zu liefern, denn dafür gibt es Bücher, die Vorlesungen und natürlich die vielen schönen Artikel hier. Hier soll eine Sammlung von allgemeinen Herangehensweisen, Beweistricks und effizienten Rechenverfahren mit besonderem Bezug zum ersten Semester vorgestellt werden. So sehr viel ist mir nicht eingefallen, aber aus den Gesprächen mit ein paar Mitstudenten im ersten Semester hatte ich die Erfahrung gemacht, dass vieles davon vielen unbekannt war, so einfach mir die Tatsachen auch erschienen. Also habe ich mir vorgenommen einen Artikel besonders für Erstsemestler zu schreiben. Natürlich sind alle eingeladen diesen zu ergänzen (das Editieren fremder Artikel soll ja möglich sein). 1. Analysis
1.1. Integrale mit Verknüpfungen von sin und cos-Funktionen lösen
Motivation:
Möchte man die Stammfunktion von einer Funktion bestimmen, die sich
aus Produkten, Quotienten und Summen von sin(x) - und cos(x) - Funktionen
darstellen lässt, so existiert dafür ein allgemeines Verfahren.
Man kann damit das Problem der Integration solcher Funktionen auf das
Problem der Integration von rationalen Funktionen zurückführen.
Methode:
Es sei f: U->\IC eine Funktion, wobei f(x) aus endlich vielen
Quotienten, Produkten und\/oder Summen von sin(x) und cos(x) besteht.
Der reelle Definitionsbereich U sei dabei geeignet gewählt.
Es gilt:
sin(x)=(2*tan(x/2))/(1+tan^2(x/2)) und cos(x)=(1-tan^2(x/2))/(1+tan^2(x/2))
und (tan(x/2))'=1/2*(1+tan^2(x/2))
Nun sind wir in der Lage, f(x) als Verkettung von tan(x/2) und einer
geeigneten rationalen Funktion u(x) zu schreiben. Nun können wir eine
Stammfunktion zu f berechnen:
int(f(x),x)=int(u(tan(x/2)),x)=int(u(tan(x/2))*(tan(x/2))'/(1/2*(1+tan^2(x/2))),x)
=int(u(v)/(1/2*(1+v^2)),v) (Substitution mit v=tan(x/2))
Dabei ist u(v)/(1/2*(1+v^2)) eine rationale Funktion.
Beispiel:
int(1/sin(x),x)=int((1+tan^2(x/2))/(2*tan(x/2)),x)
=int((1+tan^2(x/2))/(2*tan(x/2)*1/2*(1+tan^2(x/2)))*(tan(x/2))',x)
=int((1+v^2)/(v*(1+v^2)),v)=int(1/v,v)=ln|\abs(v)=ln|\abs(tan(x/2))
1.2. Partialbruchzerlegung
Motivation:
Das Verfahren der Partialbruchzerlegung findet seine Anwendung
bei der Integration rationaler Funktionen . Vielen ist das Verfahren
schon aus der Schule bekannt: man berechnet, wenn möglich, die
Nullstellen des normierten Nennerpolynoms und zerlegt den ganzen
Bruch in Summen von Brüchen, wobei die jeweiligen Nennerpolynome
Linearfaktoren des ursprünglichen Nennerpolynoms sind.
Als nächsten Schritt bringt man die Brüche auf einem Nenner und
löst ein Gleichungssystem durch Koeffizientenvergleich.
Ich werde euch ein Verfahren vorstellen, mit dem man Terme wie
(x+7)/((x+1)(x+2)(x+3)) ohne Mühe in 5 Sekunden im Kopf zerlegen kann.
Methode:
Es sei f(x)=p(x)/q(x) mit p,q Polynomfunktionen und \b_1, ..., \b_n \el\IC
und t_1, ..., t_n \el\IN^\* derart, dass q(x)=\produkt((x-\b_i)^t_i,i=1,n) gilt.
Nach der PBZ existieren a_ij\el\IC, so dass f(x)=sum(sum(a_ij/(x-\b_i)^j,j=1,t_i),i=1,n) ist.
Nun das Wesentliche: wir können sehr viele a_ij direkt berechen!
Es gilt: a_it_i = p(\b_i)/g(\b_i) mit q(x)=g(x)(x-\b_i)^t_i und g(\b_i)!=0
Anmerkung:
Der Ansatz zum Beweis ist,
dass man p(x)/q(x)-a_it_i/(x-\b_i)^t_i=(p(x)-a_it_i*g(x))/q(x):=A
im Zähler (wenn er ungleich 0 ist) ein x-\b_i abspalten kann.
Um die restlichen a_ij zu berechnen, muss man wieder eine PBZ mit A
durchführen, usw. bis man fertig ist. In sehr vielen Beispielen jedoch
sind die Vielfachheiten der Nullstellen nicht größer als 1.
Beispiel:
Nehmen wir gleich mal das Beispiel von oben. Wir suchen also a,b,c\el\IC
mit: (x+7)/((x+1)(x+2)(x+3))=a/(x+1)+b/(x+2)+c/(x+3)
Nach dem oben gesagtem gilt:
a:=(-1+7)/((-1+2)(-1+3))=3
b:=(-2+7)/((-2+1)(-2+3))=-5
c:=(-3+7)/((-3+1)(-3+2))=2
1.3. Substitution rückwärts
Motivation:
Hierbei handelt es sich mehr um eine Trivialität. Allerdings ist diese
Regel von so enormer Bedeutung, das ich sie dennoch explizit erwähnen
möchte. Für sehr viele Integrale ist es wichtig einen Blick dafür zu
bekommen.
Methode:
int(f(x),x)=int(f(x(y))*x'(y),y) mit einer geeigneten Funktion x(y).
Beispiel:
int(1/(x^(3/2)+x^(1/2)),x)=int(1/(y^3+y)*2y,y) (mit x(y)=y^2)
=2*int(1/(y^2+1),y)=2*arctan(y)=2*arctan(x^(1/2))
1.4. Grenzwertbestimmung von Folgen mittels stetiger bijektiver Funktionen
Motivation:
Es gibt konvergente Folgen, bei denen die direkte Grenzwertbestimmung
nicht leicht ist. Hierbei kann man manchmal zu Tricks greifen:
man betrachtet die Bilder der Folge unter einer stetigen bijektiven
Funktion.
Anschaulich bedeutet dies, dass man eine Folge verzerren
kann und der Grenzwert der "verzerrten" Folge manchmal leichter zu
bestimmen ist. Um den Grenzwert der eigentlichen Folge zu bestimmen,
braucht man dann die Umkehrfunktion.
Methode:
Sei f eine bijektive stetige Funktion und (a_n) eine konvergente Folge.
Es gilt dann: lim(n->\inf, a_n)=f^(-1)(lim(n->\inf,f(a_n)))
Beispiel:
Es sei (a_n) eine Konvergente Folge mit a_n>0 für alle n\el\IN.
z.z.: lim(n->\inf,(\produkt(a_i,i=1,n))^(1/n))=lim(n->\inf,a_n)
Wir betrachten das geometrische Mittel unter dem Logarithmus.
Wir erhalten: ln((\produkt(a_i,i=1,n))^(1/n))=sum(ln(a_i),i=1,n)/n
Der Beweis, dass das arithmetischen Mittels gegen den selben Grenzwert
der Folge konvergiert, ist sehr einfach. Also geht obiger Ausdruck
gegen ln(a), wobei a=lim(n->\inf,a_n).
Da e^x die Umkehrfunktion zu ln(x) ist, erhalten wir für den Grenzwert
des geometrischen Mittels e^(ln(a))=a.
2. Lineare Algebra
2.1. Lineare Unabhängigkeit und Basisergänzung
Es ist womöglich eine der klassischen \(Rechen\-)Fragen bei Klausuren:
gegeben ist in irgendeiner Form eine Menge von Vektoren aus K^n, die
einen Unterraum erzeugen. In der ersten Aufgabe ist es das Ziel
herauszufinden, ob die Vektoren linear unabhängig sind. Dann soll man
ein minimales Erzeugendensystem angeben und zum Schluss noch zu einer
Basis des kompletten Vektorraumes ergänzen.
Es ist zwar eine der leichteren Aufgaben, allerdings auch potentielle
Quelle von vielen Rechenfehlern. Darüberhinaus können solche Aufgaben
sehr viel Zeit rauben. Ein naiver Ansatz wäre:
1. Lineare Unabhängigkeit durch Lösen des entsprechenden Gleichungs-
systems herausfinden.
2. Durch Raten einen Vektor finden, der sich als Linearkombination
der anderen darstellen lässt, und ihn aus der Menge entfernen.
3. Zweitens so lange wiederholen, bis man ein minimales Erzeugenden-
system hat.
4. Durch geschickte Rumprobiererei irgendwelchen Basiselemente
hinzufügen, so dass man eine Basis vom gesamten Vektorraum hat.
Gesucht ist also ein systematischerer Ansatz, bei dem die Rumprobiererei
entfällt. Dies ist möglich.
Man kann die gesamte Aufgabe durch einmalige Umformung einer Matrix
in eine Zeilenstufenform lösen.
Methode:
Es sei v_1|, ...,v_s\el\K^n
und B=(b_1|,...,b_n|) eine Basis von K^n. Wir bilden die Matrix
A=(v_1|,... , v_s, b_1, ..., b_n)\el\M(n,s+n|\;K)
Nun formen wir A zeilenäquivalent eine eine Zeilenstufenform um.
Nun gilt: zwei Spalten befinden sich genau dann innerhalb einer Stufe,
wenn die entsprechenden Vektoren in den Spalten von A linear abhängig sind.
Daraus folgt:
a) v_1 bis v_s sind genau dann linear unabhängig, wenn keine zwei auf der
selben Stufe liegen.
b) Möchte man ein minimales Erzeugendensystem für Span{v_1|,...,v_s}
angeben, so wählt man aus jeder Stufe genau ein v_i, falls mindestens
eins auf dieser Stufe existiert, aus.
c) Um das in b) gefundene linear unabhängige System zu einer Basis
mittels B zu vervollständigen, wählen wir einfach für jede Stufe, für
die kein v_i existiert, ein b_j aus. Damit haben wir das l.u. System
zu einer Basis ergänzt.
Anmerkung:
Man kann das Verfahren leicht beweisen, in dem man sich erinnert,
das eine zeilenäquivalente Umformung nicht anderes als eine Multi-
plikation mit Elementarmatrizen ist.
Beispiel:
Gegeben sind v_1=(1,3,6,0), v_2=(0,7,3,-3) und v_3=(1,-11,0,6)\el\IR^4
sowie die kanonische Basis.
Wir bilden die Matrix A und formen sie zeilenäquivalent um:
A=(v_1|,v_2|,v_3|,e_1|,...,e_4|)=(1,0,1,1,0,0,0;3,7,-11,0,1,0,0;6,3,0,0,0,1,0;0,-3,6,0,0,0,1)
\~(1,0,1,1,0,0,0;0,7,-14,-3,1,0,0;0,3,-6,-6,0,1,0;0,-3,6,0,0,0,1)\~(1,0,1,1,0,0,0;0,7,-14,-3,1,0,0;0,0,0,-33,-3,7,0;0,0,0,-9,3,0,1)
\~(\big\1\normal,0,1,1,0,0,0;0,\big\7\normal,-14,-3,1,0,0;0,0,0,\big\-33\normal,-3,7,0;0,0,0,0,\big\42\normal,-21,11)
Wir sehen sofort, das v_1|, v_2 und v_3 linear abhängig sind (a), das
(v_1|,v_2|) eine Basis von Span{v_1|,v_2|,v_3|} ist (b) und das
(v_1|,v_2|,e_1|,e_2|) eine Basis von ganz \IR^4 ist (c).
2.2. Euklidischer Algorithmus für Polynome
Motivation:
Manchmal ist es erforderlich den größten gemeinsamen Teiler von zwei
Polynomen f und g zu bestimmen \(z.B. um die gemeinsame Nullstellenmenge
zu ermitteln\). Dafür führt man den euklidischen Algorithmus durch.
Dazu zerlegt man f derart, dass f=g*q+r_1 gilt, wobei q und r_1 auch
wieder Polynome sind mit deg(r_1)=deg(g)=v,
dann definieren wir S(f,g):=f-LC(f)/LC(g)*X^(u-v)*g mit LC als
Leitkoeffizient.
Nun funktioniert der euklidische Algorithmus so:
Sind f und g Polynome, so ordnen wir ihnen das Paar (S(f,g),g) zu, wenn
deg(S(f,g)) >= g und ansonsten (g,S(f,g)).
Das gleiche Verfahren wenden wir nun solange rekursiv auf das Paar an,
bis ein Paar (f',g') mit S(f',g')=0 entsteht. Dann ist g' der ggT.
Beispiel:
Seien f=X^4-3X^3+6X^2-15X+5 und g=X^3-7X^2+13X-4 Polynome
aus \IR|[X]. Nun wenden wir den euklidischen Algorithmus an:
S(f,g)=f-X*g=4X^3-7X^2-11X+5=:f_1
S(f_1,g)=f_1-4*g=21X^2-63X+21:=g_2
S(g,g_2)=f-X/21*g_2=-4X^2+12X-4:=f_3
S(f_3,g_2)=f_3+4/21*g_2=0
=>g_2 ist der ggT
2.3. Isomorphie bestimmter unendlicher Gruppen
Motivation:
Unendlichdimensionale Vektorräume werden in der linearen Algebra
(wenn überhaupt) nur angeschnitten. Leider kann man in solchen Räumen
nicht in jedem Fall eine Basis direkt angeben, obwohl man mittels des
Lemma von Zorn beweisen kann, das eine Basis existieren muss.
Man kann diese Räume allerdings ganz gut zum Nachweis von Isomorphie
mancher unendlicher Gruppen verwenden \(z.B. die Isomorphie der
Multiplikative Gruppe von \IC und des Einheitskreises mit der Multi-
plikation \). Dazu kann man sich ein allgemeines Prinzip konstruieren.
Methode:
Ist (G,+) eine abelsche Gruppe und existiert ein Körper K,
so dass durch eine geeignet definierte Multiplikation G ein K-Vektorraum
wird und eine hamelsche Basis existiert, dann gilt: G\oplus G~=G
Für diesen Satz benötigt man schon passende Vorbereitungen.
Zum Beispiel sollte man wissen, das \k+\k=\k für unendliche Kardinal-
zahlen gilt und es zu jedem K-Vektorraum V eine eindeutig bestimmte
Kardinalzahl \k existiert, so dass V~=K^\k gilt.
Beispiel:
Wir wollen beweisen, dass die Gruppen \IR^3 und \IR vesehen
mit der (komponentenweisen) Addition isomorph sind. Hierzu können
wir \IR als \IQ-Vektorraum auffassen. \IR kann nicht aus endlich
vielen Vektoren erzeugt werden, da abs(\IQ^I)=abs(\IQ) für endliche
Indexmengen I gilt. Damit sind die Voraussetzungen erfüllt und es
folgt \IR\oplus\IR~=\IR und damit \IR\oplus\IR\oplus\IR~=\IR. Viel Spaß und Erfolg!
Christian
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