Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit

Dubben, Hans-Hermann und Beck-Bornholdt, Hans-Peter

BuchcoverEs ist eines der besten populärwissenschaftlichen Bücher über Stochastik, einen Dschungel voller vertrackter und verwunderlicher Fußangeln. Die Autoren haben gleich weitere Paradoxa hinzugefügt: Nicht-transitive Relationen, die Paradoxa von Braess und Simpson sowie die Will-Rogers- und Newcomb-Benford-Phänomene. Wegen des Humors, der interessanten Probleme und der recht ausführlichen Erläuterungen war es für mich ein geeigneter Leitfaden für einen Abendkurs, der nur das Niveau des 8. Schuljahres voraussetzte. Am ersten Abend des Kurses wurden nichttransitive Relationen (Kapitel 1) besprochen, wo ich das Beispiel „Efrons Würfel“ ergänzt habe. Dabei geht es um paarweise vergleichbare Objekte, die aber keine Rangliste bilden. Bemerkenswert ist auch das Beispiel auf S. 17, wo Wahlergebnisse sehr stark vom Wahlverfahren abhängen. Problem: 15 Personen ordnen ihre Vorlieben bezüglich der Objekte A, B oder C in folgende Ranglisten: 6mal A, B, C 5mal C, B, A 4mal B, C, A Was wählen sie, wenn sie sich für eins der Objekte entscheiden müssen? Jedes Verfahren, ob Mehrheitswahl, Stichwahl für Platz 1 und 2 oder Punktesystem (3 für Platz 1, 2 für Platz 2 und 1 für Platz 3) führt zu einer anderen Wahl. In diesem Zusammenhang habe ich auch die Wahlkreisproblematik gestreift (Kapitel 9 ab S. 92) und habe Material über übliche Wahlverfahren wie das Wählerzuwachsparadoxon und Alabama-Paradoxon beim Hare-Niemeyer-Verfahren sowie die Gefahr des negativen Stimmgewichts bei den Bundestagswahlen ergänzt. Kapitel 2 und 4 sind identische Beispiele des Themas „Situationsabhängige Interpretation von genetischen Tests“ und machen wie die anderen stochastischen Kapitel deutlich: Die Fußangeln werden zwar Punkt für Punkt erläutert, aber es fehlt die Erklärung grundlegender Regeln, um sie zu erkennen. Für Kapitel 2 ist das die Frage nach der Vor-Test-Wahrscheinlichkeit oder die Frage nach den Möglichkeiten, auf die sich der Test anschließend bezieht. Im Kapitel 3 (Beispiel für bedingte Wahrscheinlichkeiten) habe ich das Modell der Vierfeldertafel (S. 40) vertiefend behandelt, um den Begriff der stochastischen (Un-)Abhängigkeit zu erläutern. Wer die Variationen in der Vierfeldertafel (den Wechsel der Proportionen zum Ganzen zu denen innerhalb einer Zeile bzw. Spalte) verstanden hat, kommt auch mit bedingten Wahrscheinlichkeiten klar. Die Vierfeldertafel bedeutet eine erhebliche Erweiterung der üblichen Prozentrechnung, die im Anhang des Buches an Beispielen vorgeführt wird, was aber zum Verständnis der Texte nicht ausreicht. Es ist natürlich kein systematisches Lehrbuch, richtiges Verstehen setzt aber gründliche Kenntnisse voraus. Folgende Rätsel habe ich ergänzt, weil sie gern kontrovers diskutiert werden und daher für das Thema Wahrscheinlichkeit besonders nützlich sind. Das Rätsel mit den drei Karten (eine beidseitig rot, eine beidseitig weiß, eine mit roter und weißer Seite) und das Umtausch-Paradoxon (s. Wikipedia). An den beiden letzten Abenden des Kurses wurden das berühmte Ziegenproblem (S. 101) und danach das „Sekretärinnenproblem“ intensiv diskutiert (im Buch unter dem Titel „Vergleich macht reich“, S. 124). Diese Probleme werden mit leicht verständlichen Beispielen und Varianten präsentiert. Für das letzte Problem war es am Ende aber auch gut, den Tabellen auf S. 132 und 195 mehr Struktur zu geben, ihre Methode und auch die alternative Rechenmethode (s. Wikipedia) genauer zu erläutern. Insgesamt ein wunderbar komponiertes, unterhaltsames Buch, das durch Hinweise auf eine systematische Fundierung der Stochastik gewinnen würde, weil die Themen sonst nur oberflächlich als „verrückte Welt“ konsumiert werden. Dieser leider sehr verbreitete Kult in der populärwissenschaftlichen Literatur befriedigt Wissbegierige nicht. Die Stochastik baut sich aus der Prozentrechnung, Mengenlehre und Kombinatorik auf und bleibt ohne deren Regeln und Grundkenntnisse ein Buch mit sieben Siegeln.

Hinzugefügt am: 2011-04-10
Kritiker: Gerhardus
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Durchschnittsbewertung: 2 Bewertungen

Suchbegriffe : Stochastik :: Wahrscheinlichkeitsrechnung :: Mathematik im Alltag :: Statistik :: Kombinatorik :: Zufall :

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Weitere Kommentare:
Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit
Bewertung von grosser am 18.06.2011

grosser schreibt:

"Mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit" hat mir insgesamt gut gefallen. Als Buch zwischendurch zum im Bus oder Zug lesen ist es bestens geeignet. Einige Kapiteln in denen logische Fehlinterpretationen aufgezeigt werden, bleiben mir wohl noch länger in Erinnerung. Leider wurde in anderen Bereichen gleichartige Beispiele (nur mit anderen Bezeichnungen) mehrmals wiederholt, was einem beim Lesen langweiligt, da "nichts neues passiert". Deswegen gibts auch nur 7 Sterne von mir.


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