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Konvergenz Taylorreihe |
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MasterWizz
Aktiv  Dabei seit: 24.10.2018 Mitteilungen: 146
 | Themenstart: 2021-05-25
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Hey Leute,
ich habe nur eine kurze Verständnisfrage:
Unter welchen Bedingungen konvergiert eine konvergente Taylorreihe gegen die Funktion aus der sie entstanden ist? Und wie kann diese Bedingung nachgeprüft werden?
Auf Wikipedia sind zwei Beispiele angegeben, bei denen die Taylorreihen in einer Umgebung des Entwicklungspunktes \(x_0=0\) nicht gegen die Funktionen konvergieren:
(1) \(f(x)=\begin{cases}\mathrm{e}^{-\frac{1}{x^2}}&x\neq0\\0&x=0\end{cases}\)
(2) \(f(x)=\begin{cases}\mathrm{e}^{-\frac{1}{x^2}}&x>0\\0&x\leq0\end{cases}\)
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nzimme10
Senior  Dabei seit: 01.11.2020 Mitteilungen: 2059
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 | Beitrag No.1, eingetragen 2021-05-25
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Hallo,
eine allgemeine Antwort gibt es da nicht, wenn du von reellen Funktionen redest. Die Taylorreihe kann gegen die Funktion konvergieren oder eben gegen eine andere Funktion oder sogar gar nicht konvergieren.
Das muss für jede Funktion einzeln geprüft werden. Das Lagrange-Restglied liefert z.B. dafür eine elegante Möglichkeit.
LG Nico
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MasterWizz
Aktiv  Dabei seit: 24.10.2018 Mitteilungen: 146
 | Beitrag No.2, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-25
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Kann ich dann zumindest sagen: Wenn sich eine Funktion in eine Potenzreihe entwickeln lässt und auch eine Taylorreihe besitzt, stimmen sie auf dem Konvergenzbereich überein.
Oder kann man die Aussage sogar noch mehr konkretisieren?
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nzimme10
Senior  Dabei seit: 01.11.2020 Mitteilungen: 2059
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 | Beitrag No.3, eingetragen 2021-05-25
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Hallo,
Wenn man eine reell-analytische Funktion $f\in \mathscr C^\omega(I)$ hat, dann stimmt die Potenzreihenentwicklung von $f$ mit der Taylorreihe überein, falls du das wissen wolltest. Ist $a\in I$ und
$$
f(x)=\sum_{n=0}^\infty a_n(x-a)^n,
$$
so hat man
$$
f^{(k)}(x)=\sum_{n=k}^\infty a_n \frac{n!}{(n-k)!}(x-a)^{n-k}
$$
und damit
$$
\frac{f^{(k)}(a)}{k!} = a_k.
$$
LG Nico
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MasterWizz
Aktiv  Dabei seit: 24.10.2018 Mitteilungen: 146
 | Beitrag No.4, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-25
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Hey ja, genau darauf wollte ich hinaus :)
Wie genau können wir denn prüfen, ob eine Funktion reell analytisch ist? Denn dann würde ja die Taylorreihe gleich der Potenzreihe sein. Gibt es da nur die Möglichkeit zu prüfen, ob das Restglied verschwindet?
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nzimme10
Senior  Dabei seit: 01.11.2020 Mitteilungen: 2059
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 | Beitrag No.5, eingetragen 2021-05-25
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Das ist wieder die selbe Frage wie am Anfang. Eine Funktion heißt reell-analytisch in einem Punkt, wenn sie sich in einer Umgebung des Punktes in eine Potenzreihe mit diesem Punkt als Entwicklungspunkt entwickeln lässt.
Im Allgemeinen muss man das also wirklich nachprüfen. Es gibt aber nicht nur das Lagrange-Restglied, das wäre nur eine Möglichkeit.
Es gibt zum Beispiel noch die interessante Aussage, dass eine reelle Funktion genau dann reell-analytisch ist, wenn es eine komplex-analytische Fortsetzung von ihr gibt.
Weiter hat man
$\textbf{Satz.}$ Sei $f\colon [a,b]\to \mathbb R$ beliebig oft differenzierbar und es gebe $M,c>0$ mit $|f^{(n)}(x)|\leq Mc^n$ für $n\in \mathbb N_0$ und $x\in [a,b]$. Dann gilt für $x_0,x\in[a,b]$, dass
$$
f(x)=\sum_{n=0}^\infty \frac{f^{(n)}(x_0)}{n!}(x-x_0)^n.
$$
oder
$\textbf{Satz.}$ Sei $f\colon I\to \mathbb R$ beliebig oft differenzierbar und es gebe $M,c>0$ mit $|f^{(n)}(x)|\leq n!\cdot Mc^n$ für $n\in \mathbb N_0$ und $x\in I$. Dann ist $f$ reell-analytisch.
Beide Sätze verwenden zum Beweis aber auch das Restglied.
LG Nico
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MasterWizz
Aktiv  Dabei seit: 24.10.2018 Mitteilungen: 146
 | Beitrag No.6, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-25
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Können die Sätze genutzt werden, um zu zeigen, dass z.B. die Funktion
\[f(x)=\begin{cases}\mathrm{e}^{-\frac{1}{x^2}}&x\neq0\\0&x=0\end{cases}\]
nicht reell-analytisch ist?
Seltsam finde ich auch, dass die Funktion sich nicht in eine Potenzreihe entwicklen lässt, weil sie ja nicht reell-analytisch ist, jedoch trotzdem überall eine Taylorreihe besitzt. Ich dachte immer, dass Taylorreihen spezielle Potenzreihen sind, dabei scheint es ja grad genau andersrum zu sein. Also dass Taylorreihen auch für nicht-reell-analytische Funktionen existieren können.
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nzimme10
Senior  Dabei seit: 01.11.2020 Mitteilungen: 2059
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 | Beitrag No.7, eingetragen 2021-05-25
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Für das Hinschreiben einer Taylorreihe brauchst du ja nur, dass die Funktion unendlich oft differenzierbar ist. Wie z.B. dein Beispiel zeigt, heißt das aber im Reellen noch lange nicht, dass die Taylorreihe auch konvergiert, geschweige denn gegen die ursprüngliche Funktion.
Ich denke bei deiner Funktion ist es leichter zu zeigen, dass alle Ableitungen im Nullpunkt existieren und Null sind.
LG Nico
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MasterWizz
Aktiv  Dabei seit: 24.10.2018 Mitteilungen: 146
 | Beitrag No.8, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-25
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Um dann daraus zu schlussfolgern: Wäre die Funktion reell analytisch, dann müsste die Taylorreihe gleich der Potenzreihenentwicklung sein in einer Umgebung. Aber das ist nicht der Fall für \(x=0\), darum ist die Funktion auch nicht analytisch?
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nzimme10
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 | Beitrag No.9, eingetragen 2021-05-25
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Es ist vielleicht für dich hilfreich, wenn du Taylorreihen oder generell Potenzreihen zunächst als formale Potenzreihen betrachtest. Ist $(a_n)$ eine reelle Folge so ist der Ausdruck
$$
P=\sum_{n=0}^\infty a_n X^n
$$
eine formale Potenzreihe. Diese enthält formal zunächst nur die Information $(a_n)$ und mehr nicht. Nun kann man Überlegungen über Konvergenz anstellen, wenn man für das $X$ etwas einsetzt.
Vielleicht hilft dieser formale Zwischenschritt Verwirrung zu vermeiden.
LG Nico
[Die Antwort wurde nach Beitrag No.7 begonnen.]
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nzimme10
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 | Beitrag No.10, eingetragen 2021-05-25
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\quoteon(2021-05-25 21:33 - MasterWizz in Beitrag No. 8)
Um dann daraus zu schlussfolgern: Wäre die Funktion reell analytisch, dann müsste die Taylorreihe gleich der Potenzreihenentwicklung sein in einer Umgebung. Aber das ist nicht der Fall für \(x=0\), darum ist die Funktion auch nicht analytisch?
\quoteoff
Naja die Taylorreihe mit dem Ursprung als Entwicklungspunkt ist ja dann auch identisch Null. Aber die Funktion ist es nicht. Also ist die Funktion in $0$ nicht reell-analytisch.
Wir haben ja folgendes bei deiner Funktion:
Für $x\neq 0$ ist $f$ als Komposition unendlich oft differenzierbarer Funktionen unendlich oft differenzierbar. Außerdem ist für $n\in \mathbb N$
$$
f^{(n)}(x)=\begin{cases} q_n(\tfrac{1}{x})\exp(-\tfrac{1}{x^2}), & x\neq 0 \\ 0, & x=0\end{cases}
$$
für geeignete Polynome $q_n$ vom Grad $3n$, denn es ist
$$
\lim_{x\to 0} \tfrac{1}{x^k}\exp(-\tfrac{1}{x^2})=\lim_{y\to \infty} \frac{y^{\tfrac{k}{2}}}{\exp(y)}=0
$$
für jedes $k\in \mathbb N$. Damit folgt $f^{(n)}(0)=0$ für jedes $n\in \mathbb N$.
LG Nico
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MasterWizz
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 | Beitrag No.11, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-25
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Aber die Funktion ist doch im Entwicklungspunkt identisch mit der Nullfunktion und damit mit dem Taylorpolynom. Nur nicht in einer Umgebung. Ich dachte das war das ausschlaggebende Kriterium?
Aber du hast Recht, ich sollte vielleicht besser von der formalen Potenzreihen und deren Konvergenz ausgehen.
Kann ich also davon ausgehend sagen, dass eine Potenzreihe innerhalb des Konvergenzradius gleich der Taylorreihe einer Funktion ist? Irgendwie muss ich ja den gedanklichen Bogen spannen.
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nzimme10
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 | Beitrag No.12, eingetragen 2021-05-25
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\quoteon(2021-05-25 21:49 - MasterWizz in Beitrag No. 11)
Aber die Funktion ist doch im Entwicklungspunkt identisch mit der Nullfunktion und damit mit dem Taylorpolynom. Nur nicht in einer Umgebung. Ich dachte das war das ausschlaggebende Kriterium?
\quoteoff
Das ist aber keine sonderlich spannende Aussage. Im Entwicklungspunkt stimmt jede Taylorreihe mit der ursprünglichen Funktion überein. Reell-analytisch bedeutet aber, dass die Taylorreihe in einer ganzen Umgebung um den Entwicklungspunkt mit der Funktion übereinstimmt und nicht nur in einem Punkt.
LG Nico
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nzimme10
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 | Beitrag No.13, eingetragen 2021-05-25
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\quoteon(2021-05-25 21:49 - MasterWizz in Beitrag No. 11)
Aber du hast Recht, ich sollte vielleicht besser von der formalen Potenzreihen und deren Konvergenz ausgehen.
Kann ich also davon ausgehend sagen, dass eine Potenzreihe innerhalb des Konvergenzradius gleich der Taylorreihe einer Funktion ist?
\quoteoff
Ja. Das ist dann die Taylorreihe von der Funktion, die durch die Potenzreihe gegeben ist, wie wir uns weiter oben schon überlegt hatten :D
LG Nico
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MasterWizz
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 | Beitrag No.14, vom Themenstarter, eingetragen 2021-05-26
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Super! Vielen Dank für deine Hilfe und deine Geduld, Nico! :)
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nzimme10
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 | Beitrag No.15, eingetragen 2021-05-26
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Folgende Antworten hat der Fragensteller vermutlich noch nicht gesehen. |
nzimme10
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 | Beitrag No.16, eingetragen 2021-05-28
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Hallo nochmal,
Mir ist beim Nachdenken noch der Satz von Peano-Borel eingefallen, der besagt:
$\textbf{Satz.}$ Sei $(a_n)_{n\in \mathbb N}$ eine Folge reeller Zahlen. Dann gibt es $f\in \mathscr C^\infty(\mathbb R)$ mit $f^{(n)}(0)=a_n$ für alle $n\in \mathbb N$.
Ein unmittelbares Korollar dieses Satzes ist dann natürlich, dass jede Potenzreihe (auch die Divergenten) als Taylorreihe einer Funktion vorkommt. In diesem Sinne sind Potenzreihen und Taylorreihen also tatsächlich einfach das Gleiche.
LG Nico
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