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Autor |
Verständnisfrage: Operator |
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Themenstart: 2023-05-18 11:09
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Entschuldigt diese Frage :
Als erdnaher Ingenieur schaffe ich es nicht, den Begriff "Operator" zu verstehen. "Quantenmechanik für Dummies" schreibt : "...werden Messgrößen als Operatoren dargestellt". (Eine Messgröße wäre also z.b. Geschwindigkeit, in m/s) . Und dann : "... ein Operator erzeugt eine neue Wellenfunktion".
Schon ist's vorbei : Wie kann eine physikalische Größe etwas "erzeugen" ??
m/s sind doch keine Rechenvorschrift ?!
Es bringt mir nix, irgendwelche Fouriertransformationen nachzuvollziehen, wenn ich den Kernbegriff nicht kapiert habe. Also, für Anfänger :
Was ist ein Operator ??
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Mandelbluete
Aktiv  Dabei seit: 03.05.2008 Mitteilungen: 409
 | Beitrag No.1, eingetragen 2023-05-18 11:38
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Man braucht, um das zu verstehen, Funktionalanalysis. Du solltest Dir ein Lehrbuch, ein Skript o. ä. darüber ansehen. Die wichtigsten Konzepte kommen aber schon in der linearen Algebra vor, deren Begriffe Du gut kennen mußt. Ein Operator ist einfach eine lineare Abbildung:
Die Wellenfunktionen "leben" in einem (dem) Hilbertraum $H$. Das ist ein (unendlichdimensionaler) Vektorraum über den komplexen Zahlen mit einem Skalarprodukt, und bezüglich der von diesem Skalarprodukt induzierten Metrik muß $H$ vollständig sein (daraus folgt, daß es eine Orthonormalbasis gibt, was sehr wichtig ist, und Fourierentwicklungen sind einfach Darstellungen von Hilbertraumelementen bezüglich solch einer Orthonormalbasis). Das klingt möglicherweise schlimm. Letztlich bedeutet das nur, daß $H$ zum Beispiel dem Raum $\R^3$ nicht unähnlich ist. Mit Hilberträumen kann man sehr schön umgehen.
Ein Operator $F$ ist nun wie gesagt einfach eine lineare Abbildung $F : H \to H$. Sei $|\psi\rangle \in H$ eine Wellenfunktion. Dann ist $F|\psi\rangle \in H$ eine neue Wellenfunktion, und diese Zuordnung ist linear. In der Regel ist $F$ auch beschränkt (hier das gleiche wie "stetig").
Hoffe, das hilft etwas.
Liebe Grüße
Mandelblüte\(\endgroup\)
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.2, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-18 12:23
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Hallo Mandelblüte.
Das "Operator = Messgröße" aus "für Dummies" hat mich auf eine völlig falsche Fährte gelockt.
Ein Operator ist also sehr wohl eine Rechenvorschrift (Abbildung).
Wahrscheinlich hat es einfach keinen Sinn, lange eingeübte Bedeutungen "ingenieurmathematischer" Zusammenhänge wie z.b. die Anwendung der Fouriertransformation in der Systemtheorie (Spektrum<->Zeit)
auf das Verständnis ihrer Funktion in der Quantenmechanik übertragen zu wollen.
Ich mach mich an die Hausaufgaben, Google sucht "Funktionalanalysis".
Danke !
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moep
Senior  Dabei seit: 21.06.2006 Mitteilungen: 1788
 | Beitrag No.3, eingetragen 2023-05-18 13:02
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Du kannst dir sehr viel Leid in den naechsten Stunden/Tagen sparen, wenn du nicht nach Operatoren in Funktionalanalysis suchst, sondern nach lineare Abbildungen in "Lineare Algebra". So wird es uebrigens auch in jeder Uni-Vorlesung zu Quantenmechanik beigebracht.
Die ganzen Details von stetig, beschraenkt, etc., die die Funktionalanalysis im Vergleich zu Linearer Algebra formalisiert, spielen keine Rolle fuer ein "Dummie"-Verstaendnis von Quantenphysik.
Gruss,
moep
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Mandelbluete
Aktiv  Dabei seit: 03.05.2008 Mitteilungen: 409
 | Beitrag No.4, eingetragen 2023-05-18 13:19
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Der Hintergrund davon ist, daß Meßgrößen (zum Beispiel Impuls und Ort) durch Operatoren repräsentiert werden. Zum Beispiel ist der Operator $X$, der die $x$-Koordinate eines Teilchens, repräsentiert durch eine Wellenfunktion $|\psi\rangle$, mißt, einfach der durch $X|\psi(x,y,z,t)\rangle = |x\psi(x,y,z,t)\rangle$ definierte Multiplikationsoperator, und das Skalarprodukt $\langle \psi |X|\psi\rangle$ ist der Erwartungswert einer Messung.
Liebe Grüße
Mandelblüte
[Die Antwort wurde nach Beitrag No.2 begonnen.]\(\endgroup\)
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.5, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-19 09:29
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Verzeiht meine Begriffstutzigkeit. Ich weiß schon : "shut up and calculate !", aber darum geht's mir nicht, ich will verstehen, was da beschrieben wird.
Im Büchlein steht : "..ein einfacher Operator ist der Differenzialoperator d/dx".
Auch Mandelblüte schreibt : "...Messgrößen durch Operatoren repräsentiert werden".
Das war und ist meine momentane Hürde.
1) d/dx ist eine Rechenvorschrift, keine physikalische Größe. Auf eine physikalische Gegebenheit angewendet, bringt sie z.b. neue Informationen (wie etwa eine Geschwindigkeit).
2) Eine Meßgröße aber (z.b. kinetische Energie) ist keine (!!) Rechenvorschrift, sondern eine physikalische "Eigenschaft" mit einer Einheit. Ich kann nicht Geschwindigkeit "auf etwas anwenden".
-> Wie können beide Aussagen einen Operator beschreiben ?
(Ich rate mal, und hoffe ihr korrigiert mich :
Weil eine Meßgröße hier keine Meßgröße ist, sondern eine Observable mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung dahinter, kann nur mittels einer Rechenvorschrift ihr Wert theoretisch (eben als Wahrscheinlichkeit) angegeben werden. Die "klassische" Messung dagegen ist (im klassischen Sinn) wertlos, weil sie zufällige Ergebnisse resultieren kann. Eine physikalische Größe ist im kontext also nicht "klassisch" messbar, sondern exakt nur als Wahrscheinlichkeit rechenbar. Deshalb : "Operator".
Und... weit daneben ?)
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Mandelbluete
Aktiv  Dabei seit: 03.05.2008 Mitteilungen: 409
 | Beitrag No.6, eingetragen 2023-05-19 10:02
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Ich glaube, Du bist schon dicht dran. Der Kern der Sache ist in der Tat, daß man nichts im klassischen Sinne scharf messen, sondern nur noch einen Erwartungswert angeben kann. Das setzt voraus, daß wir wissen, wie wir zum Beispiel ein Teilchen mit einer Wellenfunktion $|\psi\rangle$ beschreiben können. Wenn wir davon ausgehen, daß wir das haben, können wir mit Hilfe dieser Wellenfunktion Erwartungswerte von Observablen (= beobachtbare, meßbare, physikalisch interpretierbare Größen) in diesem Hilbertraum- und Operatorformalismus berechnen.
Zum Beispiel sind die drei Ortskoordinaten Multiplikationsoperatoren, wie ich geschrieben habe. Aber die dazugehörigen Impulse (man betrachtet in der Regel die Impulse statt der Geschwindigkeiten), das sind (in diesem Bild) Differentialoperatoren. Zum Beispiel
\[
P_X = -\i \hbar \frac{\partial}{\partial x},
\]
der Impulsoperator für die $x$-Rechnung. Eigentlich ist es gar nichts Neues, daß man da differenziert. Der Erwartungswert für den Impuls des Teilchens, repräsentiert durch $|\psi\rangle$, wird wieder mit
\[
\langle \psi|P_X|\psi\rangle = -\i\hbar \iiint \overline{\psi(x,y,z,t)} \cdot\frac{\partial\psi}{\partial x}(x,y,z,t) \, \d x \, \d y \, \d z
\]
berechnet. Es kommt eine reelle Zahl heraus, und hinter diesen schön einfachen Skalarprodukten verbergen sich diese erschreckenden Integrale und Fourierentwicklungen; man macht mit dem Formalismus nur die wesentliche Struktur sichtbar. 🙂
Übrigens ist der Energie der sogenannte Hamiltonoperator zugeordnet, der in der Schrödingergleichung auftritt.
Liebe Grüße
Mandelblüte \(\endgroup\)
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moep
Senior  Dabei seit: 21.06.2006 Mitteilungen: 1788
 | Beitrag No.7, eingetragen 2023-05-19 18:58
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Alles was gesagt wurde, sind korrekte Fakten. Aber ich glaube (basierend auf kannix' Formulierungen), dass diese Fakten noch nicht ganz des Pudels Kern treffen.
Ich versuche es mal mit einer ausfuehrlicheren erklaerung -- mit moeglichst wenigen Formeln, aber trotzdem Saetze so formulieren, dass der sprachliche Interpretationsraum so weit wie moeglich eingeschraenkt ist, damit das Risiko des Missverstaendnisses minimiert wird.
Wir sollten zunaechst eine Messgroesse und eine Messung in der klassischen Welt sauber beschreiben.
Dazu halten wir fest, dass eine Messung immer bezueglich eines bestimmten physikalischen Zustandes passiert, und je nach Zustand einen anderen gemessenen Wert fuer eine Messgroesse produziert. Z.B. ist "die Geschwindigkeit eines Autos (relativ zur Strasse)" eine Messgroesse, aber offensichtlicht zeigt der Tacho eine andere Zahl an je nach dem, zu welchem Zeitpunkt du waehrend der Fahrt drauf guckst.
Abstrakt gesagt, ist die Geschwindigkeit $v$ eine Funktion auf dem "Raum der Zustaende des Autos": fuer jeden Zustand (Motor aus, vor einer roten Ampel, Flucht vor der Polizei, etc.) des Autos gibt diese Funktion einen Wert aus (mit Einheit km/h), die der Geschwindigkeit in diesem Zustand entspricht.
Je nach dem, in welcher Form ("Art der Beschreibung, Information") du den Zustand des Autos angibst, ist auch diese Funktion eine "Rechenvorschrift"! Ist z.B. eine Spritztour von dir als zeitabhaengige Position $\vec{x}(t)$ gegeben, dann erhaelst du die Messgroesse "Geschwindigkeit", in dem du die Ableitung (und danach den Absolutbetrag) $v(\tau) = (|\frac{d}{dt} \vec{x}(t)|)|_{t=\tau}$ berechnest. (Der vertikale Strich am Ende ist nicht Betragsbildung, sondern nur die Spezifizierung dass man die Ableitungsfunktion zum Zeitpunkt $\tau$ auswerten soll).
Genau so gut kannst du aber die Messung auch als "ich gucke zum Zeitpunkt $\tau$ auf den Tacho und lese die Position der Nadel ab" angeben. Das wuerdest du vermutlich nicht als "Rechenvorschrift" bezeichnen, aber es liefert mathematisch die identische Information: diese Vorschrift spezifiziert die Geschwindigkeit als eine Funktion des Zustandes vom Auto.
Dieses Muster gilt immer in der klassischen Mechanik: Das physikalische System wird zu jedem Zeitpunkt durch einen Zustand angegeben, der (egal wie man ihn spezifiziert) abstrakt einen "Punkt in einem Raum", den Zustands-, oder Phasenraum ${\cal M}$ entspricht. Jede Messgroesse $F$ ist eine reellwertige Funktion auf diesem Raum: $F: {\cal M} \rightarrow \mathbb{R}$. (Ich vereinfache hier etwas; im allgemeinen koennen Messgroessen auch auf was anderes als $\mathbb{R}$ abbilden. Wichtig ist physikalisch, dass jede Messgroesse auch eine im allgemeinen nicht-triviale Einheit, wie m/s, hat.)
Damit wird auch klar, warum es in der klassischen Mechanik nie "Wahrscheinlichkeiten" bei Messungen auftreten kann: *per Definition* liefert eine Funktion fuer einen Input -- in diesem Fall der Zustand des Systems -- genau einen Wert -- der Messwert. Die einzige Moeglichkeit, Wahrscheinlichkeiten ins Spiel zu bringen ist, wenn wir uns von vorne herein ein "Ensemble" von einer Anzahl von $N$ Zustaenden vorstellen, jede von diesen eine Wahrscheinlichkeit zuordnen, und dann die "Ensemble-Messgroesse" definieren als der Erwartungswert der Messungen in diesem Ensemble.
Fuer das Auto-Beispiel sieht das dann etwa so aus: was ist die Verteilung der gemessenen Geschwindigkeiten von $N$ Autos die unter einer Autobahnbruecke durchfahren? Je nach dem, wie die "Verteilung der Zustaende" aussieht (z.B., bei einer Autobahnbruecke in Frankreich (Tempolimit 130), oder einer Bruecke auf der A8 zwischen Pforzheim und Stuttgart (ohne Tempolimit)), wird der Erwartungswert der Messung anders aussehen.
Untersuchungen von solchen "Ensembles" von Zustaenden sind Gegenstand der (klassischen) statistischen Mechanik, und fuehrt zu Definitionen wie Entropie etc. Wichtig hier ist, dass klassisch die verschiedenen Zustaenden in einem Ensemble unabhaengig von einander sind. Insbesondere aendert sich nicht die Zuordnung von einzelnen "Mitgliedern" des Ensembles zwischen verschiedenen Messungen: dein Auto und das einer anderen Person bleiben jeweils deins und das einer anderen Person, egal wo ihr unterwegs seid, oder ob die Geschwindigkeit oder ob das Gewicht gemessen wird. Ich hebe diese scheinbar triviale Tatsache hervor, weil es sich in der Quantenmechanik aendert.
Okay, jetzt zur Quantenwelt. Dazu sollte man sagen, dass die folgenden Beschreibungen als "Axiome" angesehen werden muessen, d.h., es gibt per se keine tieferliegenden physikalischen Gruende, *warum* es so sein muss. (Hatte es ehrlich gesagt in der klassischen Physik auch nicht, aber da decken sich die Axiome sehr mit unserer menschlichen "Intuition", so dass da haeufig niemand tiefer hinterfragt.)
Schauen wir uns zunaechst mal die Quanten-Zustaende, d.h., die Spezifizierung eines quantenmechanischen Systems an. In gewisser Weise ist es aehnlich zur klassischen Welt: ein Zustand wird durch ein Element, oder "Punkt" $|\psi \rangle$ in einem Raum ${\cal H}$ angegeben. Der (erste) wichtige Unterschied ist, dass ${\cal H}$ ein Vektorraum ueber $\mathbb{C}$ (sogenannter Hilbert-Raum) ist (in der klassischen Physik war ${\cal M}$ nicht zwangslaeufig ein Vektorraum).
Diese Eigenschaft wuerde keinen Unterschied machen, wenn wir nach wie vor Messgroessen als Funktionen von ${\cal H}$ nach $\mathbb{R}$ vorstellen -- nur leider widerlegen alle Experimente genau diese Vorstellung!
Was stattdessen sich als korrekt herausstellt ist, dass Messgroessen nun lineare Abbildungen, oder -- das Wort deiner Verwirrung -- Operatoren ${\cal O}$ auf ${\cal H}$ sind:
${\cal O}: {\cal H} \rightarrow {\cal H}$, mit ${\cal O}(0) = 0$ und ${\cal O} (a x) = a{\cal O}(x)$ (wobei $a\in \mathbb{C}$ und $x \in {\cal H}$).
[Nicht jeder beliebige Operator kann eine Messgroesse darstellen. Die qualifizierende Eigenschaft heisst "selbst-adjungiert", was salopp gesagt dafuer sorgt, dass Messwerte immer reelle Zahlen sind, obwohl wir mit komplexen Zahlen arbeiten.]
Aber was sind nun Messwerte fuer einen Zustand $|\psi\rangle$? Nun, wie Mandelbluete es beschrieben hat, ist es durch die "Rechenvorschrift" $\langle \psi| {\cal O}|\psi \rangle$; fuer viele Situationen kann man das berechnen wie das Integral in Mandelbluetes Beitrag. Aber stell dir das mit Vektoren so vor: fuer einen Zustand $|\psi \rangle \in {\cal H}$ ist ${\cal O}|\psi \rangle$ wieder ein Vektor (weil ${\cal O}$ eine lineare Abbildung auf ${\cal H}$ ist). Nun bildest du "einfach" das Skalarprodukt von den zwei Vektoren $|\psi\rangle$ and ${\cal O}|\psi\rangle$, und heraus kommt eine "Zahl", der Messwert.
Die brennende Frage ist nun sicherlich, woher kommt die quantenmechanische "Wahrscheinlichkeit"? Und genau dafuer war es wichtig, im klassischen Kontext die "Ensembles" kennengelernt zu haben.
Vereinfach gesagt definiert jede Messgroesse eine "bevorzugte" Vektorraum Basis $\{|e_i\rangle\}$ von ${\cal H}$ (mit besonderen Eigenschaften die ich hier auslasse).
Ein Basisvektor $|e_i\rangle$ entspricht nun einem "Zustand im klassischen Sinne", waehrend ein allgemeiner Zustandsvektor $|\psi \rangle = \sum_i \alpha_i |e_i\rangle$ einem Ensemble (mit Wahrscheinlichkeitsverteilung bestimmt durch die Koeffizienten $\alpha_i \in \mathbb{C}$) im klassisch-statistischen Sinne. [Auch diese Aussage ist als Axiom zu sehen, und laesst sich nur schwer "tiefgruendiger" erklaeren; letztendlich ist sie durch Experimente verifiziert.]
Die "Messung" liefert dir nun eine Wahrscheinlichkeitsverteilung,
$\langle \psi | {\cal O} |\psi \rangle = \sum_{i,j} \bar{\alpha_i} \alpha_j \langle e_i | {\cal O} | e_j \rangle = \sum_i |\alpha_i|^2 \langle e_i | {\cal O} |e_i \rangle$,
ueber die "klassisch moeglichen" Messwerte $\langle e_i |{\cal O }|e_i \rangle$, mit den Wahrscheinlichkeiten $|\alpha_i|^2$. [Die Terme in der Summe mit $i \neq j$ verschwinden aufgrund der oben genannten "besonderen Eigenschaften".]
Fuer eine einzelne Messgroesse ist es aber immer noch nicht grossartig anders als in der klassischen Welt! Alles was ich bis jetzt gesagt habe, setzt nur ein Quantenzustand mit einem klassischen Ensemble gleich, und eine Quantenmessung mit einem klassischen Erwartungswert.
Der letzte Baustein in dem ganzen Konstrukt ist, dass verschiedene Operatoren verschiedene bevorzugte Basisvektoren haben, und somit unterschiedliche "klassische Zustaende" definieren. Daraus folgt z.B. die bekannte Unschaerferelation zwischen Ortsmessung und Impulsmessung, weil ein "klassischer Ortszustand" (befindet sich am Ort $\vec{x}_0$) kein "klassischer Impulszustand" (hat Impuls $\vec{p}_0$) ist, und umgekehrt. Vielmehr ist der Zustand $|\vec{x}_0\rangle$ (befindet sich an $\vec{x}_0$) die Superposition "$\sum_{\vec{p}} e^{i \vec{x}_0 \cdot \vec{p}} |\vec{p} \rangle$" (Anfuehrungszeichen, weil es eigentlich ein Integral ist... Aber intuitiv bedeutet das ueber alle moeglichen Impulszustaende summieren.)
Mit anderen Worten: in der Quantenmechanik ist es moeglich, dass ein einzelner Quanten-Zustand $|\psi \rangle$ fuer eine Messgroesse wie ein einziger "klassischer Zustand" aussieht, aber fuer eine andere Messgroesse wie ein "klassisches Ensemble" aussieht -- mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung, oder "Unschaerfe", von Messwerten.
So was ist in der mathematischen Formulierung der klassischen Mechanik nicht moeglich: ein Ensemble und ein einzelner Zustand sind zwei grundverschiedene Dinge. Messgroessen messen immer einen Wert fuer einen einzelnen Zustand, und eine Verteilung fuer ein Ensemble.
Umgekehrt bedeutet es nicht, dass es nun in der Quantenmechanik "beides gleichzeitig" gibt. [Genau so wie es irrefuehrend ist, Licht als "Welle und Teilchen gleichzeitig" zu beschreiben.] In der Quantenwelt gibt es auch "nur" einzelne Zustaende, eben als Vektoren in einem Hilbertraum, mit Messgroessen als Operatoren anstatt reellwertige Funktionen. Die Bezeichnungen "einzelner klassischer Zustand" und "Ensemble von klassischen Zustaenden" sind nur sinnvoll, wenn wir versuchen die Quantenzustaende in einem klassischen Limit zu interpretieren; in dieser Interpretation tauchen dann ploetzlich neue Effekte auf, die "nicht klassisch" sind.
So, das war eine etwas zu lang geratene Erklaerung. Bitte gerne nachfragen.
Gruss,
moep
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.8, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-21 11:07
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Zunächst möchte ich anmerken, daß ich es für ganz außergewöhnlich halte, wie in diesem Forum kommuniziert wird. Ich wurde noch kein einziges Mal beleidigt ! (*smile). Und dann finde ich es nicht alltäglich, welch große Mühe sich Teilnehmer wie Mandelblüte und moep mit einem Nullchecker wie mir machen, um ihm in seinen privaten, laienhaften „Studien“ weiterzuhelfen.
Danke !
Ich hab‘ Teile der letzten Erläuterung hier zitiert um aus meiner Sicht zu kommentieren. Zunächst der Abschnitt zur Defintion von Begriffen anhand der klassischen Physik :
„Wir sollten zunaechst eine Messgroesse und eine Messung in der klassischen Welt sauber beschreiben.
Dazu halten wir fest, dass eine Messung immer bezueglich eines bestimmten physikalischen Zustandes passiert, und je nach Zustand einen anderen gemessenen Wert fuer eine Messgroesse produziert.“
- Diesen „Zustand“ sehe ich also als definiert durch die Gesamtheit der Komponenten des Zustandsvektors (den ihr, wenn ich das richtig verstehe, als Ket-Vektor angebt : |x> ). Im Hilbertraum (dessen Vorteile ich natürlich nicht erkennen kann, weil ich die Mathematik nicht beherrsche) sind das erst mal unendlich viele.
Das würde bedeuten, neben den Observablen hat ein Objekt theoretisch noch viele, viele Zustandskomponenten, die vielleicht sein Verhalten bestimmen, ohne daß ich diese messen oder auch nur wahrnehmen könnte. (Nur nebenbei : die informationstechnische Deutung der Quantenmechanik geht aber in die gegenteilige Richtung, oder ?)
„diese Vorschrift spezifiziert die Geschwindigkeit als eine Funktion des Zustandes vom Auto.“
- In „Quantensprache“ wäre das wohl : Wenn ich den Zustand eines Objekts kenne, (wobei, siehe oben, ich ja nur die Observablen kenne, oder ?), kann ich durch Anwendung eines Operators den nächsten Zustand berechnen. Über das Geschehen zwischen den beiden Zuständen kann ich damit nichts sagen. Und wenn der Operator in seiner Wirkung einer neuen Messung entspricht, mir also den neuen Wert einer Observablen zeigt, kann ich hier sprachlich „Operator“ und „Messung“ quasi gleichsetzen.
„den Zustands-, oder Phasenraum M entspricht“
- Als Elektriker macht mir das Probleme, weil die Phase in meinem Heimatkontext ja (wie auch die Nutzung der komplexen Rechnung) die zeitliche Verschiebung harmonischer Schwingungen beschreibt. Mit der Nutzung der Fouriertransformation ist es ähnlich. Hier ist es mehr, aber das ist vielleicht ja erstmal nicht wichtig.
„Untersuchungen von solchen "Ensembles" von Zustaenden sind Gegenstand der (klassischen) statistischen Mechanik, und fuehrt zu Definitionen wie Entropie etc.“
- Das ist für mich kritisch. Die statistische Mechanik (z.b. die Gasgleichungen der Thermodynamik) sehe ich als Kapitulation vor der Komplexität der deterministischen Beschreibung des Verhaltens. Es wäre (mit unendlich Aufwand) theoretisch wohl möglich, das Verhalten z.b. eines thermodynamischen Vorgangs auch aus dem deterministischen Verhalten auf molekularer Ebene zu beschreiben.
Anders in der Quantenwelt : Hier geschehen Übergänge in Zustandskoordinaten, die nicht deterministisch erfassbar sind. Sie sind auch nicht beliebig fein auflösbar, nur jeweils eine Messung (oder die Anwendung eines Operators) liefert „unscharf“ den Wert am jeweiligen (Zeit-)Punkt, sonst nichts.
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Wäre nett, wenn ihr mich auf gravierende Fehler aufmerksam machen würdet.
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moep
Senior  Dabei seit: 21.06.2006 Mitteilungen: 1788
 | Beitrag No.9, eingetragen 2023-05-23 02:50
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Zunaechst einmal muss ich mich entschuldigen, dass ich ein wenig zu viele Fachbegriffe benutzt habe, die eigentlich nicht notwendig waren.
Anhand deiner Fragen stelle ich fest, dass leider doch das passiert ist, was ich versucht habe zu vermeiden: du interpretierst in manchen Formulierungen von mir zu viel hinein, und vermischst bei manchen Begriffen die eigentliche Bedeutung mit anderen, die dir vielleicht aus dem Alltag naeher liegen. Das sollte keine Kritik an dir sein, sondern es ist eher mein Fehler, da nicht noch vorsichtiger gewesen zu sein.
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
„Wir sollten zunaechst eine Messgroesse und eine Messung in der klassischen Welt sauber beschreiben.
Dazu halten wir fest, dass eine Messung immer bezueglich eines bestimmten physikalischen Zustandes passiert, und je nach Zustand einen anderen gemessenen Wert fuer eine Messgroesse produziert.“
- Diesen „Zustand“ sehe ich also als definiert durch die Gesamtheit der Komponenten des Zustandsvektors (den ihr, wenn ich das richtig verstehe, als Ket-Vektor angebt : |x> ). Im Hilbertraum (dessen Vorteile ich natürlich nicht erkennen kann, weil ich die Mathematik nicht beherrsche) sind das erst mal unendlich viele.
Das würde bedeuten, neben den Observablen hat ein Objekt theoretisch noch viele, viele Zustandskomponenten, die vielleicht sein Verhalten bestimmen, ohne daß ich diese messen oder auch nur wahrnehmen könnte. (Nur nebenbei : die informationstechnische Deutung der Quantenmechanik geht aber in die gegenteilige Richtung, oder ?)
\quoteoff
In dieser Definition befinden wir uns in einer rein klassischen Welt (nicht unsere reale Welt, denn die ist bekanntlich quantenmechanisch). Deshalb gibt es keinen Hilbertraum und auch keine Zustandsvektoren. Wenn du moechtest, kannst du den klassischen "Raum der Zustaende" einfach als eine abstrakte Menge ${\cal M}$ vorstellen, und Zustaende sind Elemente dieser Menge. [Natuerlich ist auch ein Vektorraum eine Menge, aber mein Punkt hier ist, dass es klassisch keinen Unterschied macht -- eine moegliche Vektorraum Struktur auf ${\cal M}$ hat keine besondere physikalische Bedeutung.]
Ich weiss nicht genau, was du mit "Gesamtheit der Komponenten des Zustandsvektors", von denen es "unendlich viele gibt", meinst.
Wenn du damit sagen willst, dass es fuer das allgemeinste Beispiel der Raum der Zustaende (ob klassisch oder quantenmechanisch) endlich dimensional ist, dann ist das erst einmal korrekt. Aber in dem nachfolgende Satz,
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
Das würde bedeuten, neben den Observablen hat ein Objekt theoretisch noch viele, viele Zustandskomponenten, die vielleicht sein Verhalten bestimmen, ohne daß ich diese messen oder auch nur wahrnehmen könnte. (Nur nebenbei : die informationstechnische Deutung der Quantenmechanik geht aber in die gegenteilige Richtung, oder ?)
\quoteoff
musst du etwas vorsichtig sein, wenn du diese Dimensionaliaet (Anzahl der Komponenten) mit Observablen vermischst.
Ich denke deine Intuition ist richtig: durch das Messen von verschiedenen Observablen kann ich den Zustand einschraenken/bestimmen; das ist wie wenn ich nach und nach die Komponenten eines Vektors herausfinde.
Allerdings sind mathematisch gesehen die "Komponenten" eines Zustand"vektors" sind *nicht* Observable, weder klassisch, noch quantenmechanisch. Observable sind per Definition Funktionen von ${\cal M}$ nach $\mathbb{R}$. Intuitiv kannst du aber durchaus sagen, dass mit genug (evtl unendlich viele) Messungen du einen (zuvor) unbekannten Zustand bestimmen kannst.
Mit der "informationstechnischen Deutung der Quantenmechanik" hat es entfernt etwas zu tun, dazu unten im Kommentar zu statistischer Mechanik mehr.
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
„diese Vorschrift spezifiziert die Geschwindigkeit als eine Funktion des Zustandes vom Auto.“
- In „Quantensprache“ wäre das wohl : Wenn ich den Zustand eines Objekts kenne, (wobei, siehe oben, ich ja nur die Observablen kenne, oder ?), kann ich durch Anwendung eines Operators den nächsten Zustand berechnen. Über das Geschehen zwischen den beiden Zuständen kann ich damit nichts sagen. Und wenn der Operator in seiner Wirkung einer neuen Messung entspricht, mir also den neuen Wert einer Observablen zeigt, kann ich hier sprachlich „Operator“ und „Messung“ quasi gleichsetzen.
\quoteoff
Hier vermischst du mehrere Sachen, um deine Schlussfolgerung "sprachlich „Operator“ und „Messung“ quasi gleichsetzen" zu rechtfertigen.
Zunaechst einmal ist es so, dass meine obigen Beschreibungen implizit annahmen, den Zustand (ob klassisch oder quantenmechanisch) exakt zu kennen. Natuerlich ist das "kennen" hier in einem abstrakten Sinn gemeint: in einem unendlich dimensionalen Raum kenne ich den einen Punkt / einen Vektor der meinem Zustand entspricht. Natuerlich ist es in der Realitaet nie so, aber hier geht es mir um den mathematischen Formalismus, der die zeitliche Entwicklung es Systems beschreibt, und fuer die zugehoerigen Gleichungen (sowohl klassisch als quantenmechanisch) gibt man immer einen Anfangszustand "exakt" an. Das kannst du in etwa vergleichen wie unsere Kenntnis ueber $\pi$. Abstrakt kennen wir diese Zahl als reelle Zahl exakt, und koennen somit exakt angeben wann die Gleichung $\exp(i \cdot x) = -1$ eine Loesung hat. Aber wenn du dir eine reelle Zahl als einen unendlichen Vektor mit ganzzahligen Koeffizienten (= Dezimaldarstellung) vorstellst, kann man diese Darstellung nie genau kennen (was z.B. zu interessanten Problemen fuehrt wie diese).
Jetzt kommt aber das eigentlich wichtige: der "Operator" mit dem du den "naechsten Zustand" berechnest, ist nicht der gleiche "Operator", der eine Messung macht. Verwende hier am besten das Wort "(mathematische) Operation" -- das ist alles, was ich mit "Rechenvorschrift" in meinem urspruenglichen Post meinte. Ueberhaupt sind diese Woerter natuerlich praedestiniert dazu, vielfaeltig (und damit unterschiedlich) interpretiert zu werden.
Der Rest deines Absatzes, "Über das Geschehen zwischen den beiden Zuständen..." ist damit leider kompletter Stuss.
Jetzt interpretiere ich mal was ich lese und versuche eine Erklaerung deines Missverstaendnisses zu finden: du hast irgendwo gelesen dass der Hamilton-Operator die zeitliche Entwicklung des Zustandes "generiert", und verbindest deshalb "Operator" mit "den naechsten Zustand bestimmen"? Die Aussage mit dem Hamilton-Operator ist korrekt, aber befindet sich auf einer "anderen Metaebene" als meine Erklaerung. In meiner Erklaerung habe ich gar nicht versucht, die zeitliche Entwicklung von Zustaenden (klassisch oder quantenmechanisch) zu beschreiben, von daher hat alles, was ich mit "Operator" oder "Operationen"/"Rechenvorschriften" sage, nichts damit zu tun.
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
„den Zustands-, oder Phasenraum M entspricht“
- Als Elektriker macht mir das Probleme, weil die Phase in meinem Heimatkontext ja (wie auch die Nutzung der komplexen Rechnung) die zeitliche Verschiebung harmonischer Schwingungen beschreibt. Mit der Nutzung der Fouriertransformation ist es ähnlich. Hier ist es mehr, aber das ist vielleicht ja erstmal nicht wichtig.
\quoteoff
Hier hast du mich beim "Angeben mit Fachbegriffen" erwischt, und auch gleich die Konsequenzen davon aufgezeigt.
Die Phase von der ich hier rede hat rein gar nix mit der Phase im Kontext von Schwingungen zu tun. Tatsaechlich ist die Bezeichungen "Phasenraum" angesichts der vielen anderen (verwandten) Verwendungen von Phase in Physik ein kompletter Ausreisser (siehe hier). Du kannst getrost das Wort "Phasenraum" vergessen und immer "Zustandsraum" benutzen.
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
„Untersuchungen von solchen "Ensembles" von Zustaenden sind Gegenstand der (klassischen) statistischen Mechanik, und fuehrt zu Definitionen wie Entropie etc.“
- Das ist für mich kritisch. Die statistische Mechanik (z.b. die Gasgleichungen der Thermodynamik) sehe ich als Kapitulation vor der Komplexität der deterministischen Beschreibung des Verhaltens. Es wäre (mit unendlich Aufwand) theoretisch wohl möglich, das Verhalten z.b. eines thermodynamischen Vorgangs auch aus dem deterministischen Verhalten auf molekularer Ebene zu beschreiben.
Anders in der Quantenwelt : Hier geschehen Übergänge in Zustandskoordinaten, die nicht deterministisch erfassbar sind. Sie sind auch nicht beliebig fein auflösbar, nur jeweils eine Messung (oder die Anwendung eines Operators) liefert „unscharf“ den Wert am jeweiligen (Zeit-)Punkt, sonst nichts.
\quoteoff
Ich bin etwas ueberrascht von der Beurteilung "kritisch" (aber vielleicht ist das auch zu viel Interpretation meinerseits). Da ich diesen Satz rein als Nebenkommentar hinzugenommen habe, muss ich es aber mir selbst ankreiden, dich damit "kritisch" gestimmt zu haben.
Deine Beschreibung von statistischer Mechanik ist voellig korrekt (mit der Annahme, dass das Verhalten bis zur molekularen Ebene klassisch ist, was innerhalb der klassischen Physik trivialerweise stimmt, aber eben nicht mehr in der Quantenwelt). Um meine unvorsichtige Bemerkung damit in Einklang zu bringen, muss man etwas weiter ausholen, und zwischen "mikroskopischen" und "makroskopischen" Observablen fuer Ensembles unterscheiden. Das moechte ich hier nicht weiter im Detail diskutieren, aber je ein Beispiel waeren "Position jedes Molekuels" und "Temperatur des Gases im Raum".
Worauf ich hier eigentlich (ohne Erklaerung) hinauswollte war, dass makroskopische Observable wie Entropie, die klassisch nur fuer ein Ensemble von Zustaenden definiert ist, in der Quantenmechanik fuer einen einzigen Zustand definiert werden kann.
Die Entropie im speziellen liefert die Verbindung zum "informationstechnischen Aspekt" der Quantenphysik -- im gewissen Sinne kann die Quanten-Entropie verstanden werden als ein Mass von Information in einem Quantensystem. Die Erklaerung wuerde aber zu viele andere Grundlage voraussetzen.
Das spiegelt letztendlich die nicht-deterministische Natur der Quantenwelt wieder. Ich denke, das ist auch das was du intuitiv ausdruecken moechtest in diesem Paragraph:
\quoteon(2023-05-21 11:07 - kannix in Beitrag No. 8)
Anders in der Quantenwelt : Hier geschehen Übergänge in Zustandskoordinaten, die nicht deterministisch erfassbar sind. Sie sind auch nicht beliebig fein auflösbar, nur jeweils eine Messung (oder die Anwendung eines Operators) liefert „unscharf“ den Wert am jeweiligen (Zeit-)Punkt, sonst nichts.
\quoteoff
Aber leider involviert das auch eine Mischung von Begriffen, die mindestens problematisch, auf jeden Fall sehr ungenau ist.
Und zusaetzlich legst du den Finger in die Wunde, die ueberhaupt der ganzen "Determinismus"-Debatte unterliegt: dem Problem der quantenmechanischen Messung ("measurement problem" im Englischen). Denn der Witz an der ganzen Geschichte (die ich nicht erzaehlt habe) mit Hilbertraum, Hamiltonoperator und Schroedinger Gleichung ist, dass die zeitliche Entwicklung des Zustandsvektors, welche der Schroedinger Gleichung folgt, komplett deterministisch ist: gegeben einen Anfangszustand $|\psi_0\rangle$ fuer ein System zum Zeitpunkt $t = \tau$, kann ich mit Hilfe der Schroedinger-Gleichung exakt bestimmen, in welchem Zustand $\psi(t)\rangle$ sich das System zu jedem anderen Zeitpunkt $t = \tau + \Delta t$ befindet. Der Nicht-Determinismus kommt daher, dass ich, auch wenn ich $\psi(t)\rangle$ exakt kenne, im allgemeinen *nicht* exakt vorhersagen kann, was der *klassische* Messwert fuer eine Messgroesse ${\cal O}$ ist.
Ich betone hier "klassischen" Messwert, weil wir -- wie im letzten Post beschrieben -- in real-existierenden Messapparaturen bei jeder einzelnen Messung immer nur $\langle e_i | {\cal O} |e_i\rangle$ fuer ein bestimmtes $i$ messen, aber nie den "vorhergesagten" Wert $\langle \psi(t) | {\cal O} | \psi(t) \rangle = \sum_i |\alpha_i|^2 \langle e_i | {\cal O} |e_i\rangle$.
Wenn wir den gleichen Zustand $|\psi(t)\rangle$ in der gleichen Apparatur mehrfach messen, sehen wir verschiedene Messwerte ($\langle e_i | {\cal O} |e_i\rangle$ fuer verschiedene $i$), aber die Haeufigkeit mit der verschiedene $i$'s auftauchen, naehrt sich immer mehr der Verteilung $|\alpha_i|^2$ an, je oefters wir messen.
Vergleiche die Situation noch mal mit der klassischen: gegeben einen klassischen Zustand $\psi(t) \in {\cal M}$ (ich schreibe absichtlich den klassischen Zustand ohne Ket-Notation), liefert auch wiederholtes Messen einer Messgroesse (eine Funktion $F : {\cal M} \rightarrow \mathbb{R}$) *immer* den gleichen Wert, naemlich $F(\psi(t))$.
Deshalb ist es eine naheliegende *Interpretation*, einen einzelnen Quanten-Zustand in Bezug auf einer Messgroesse als ein Ensemble im klassischen Sinne zu vergleichen.
Das Problem des Nicht-Determinismus geht noch weiter: empirisch hat man festgestellt (und ich kann nicht stark genug betonen, dass diese Quanten-Regel *rein empirisch* aufstellt ist), dass sich das System nach einer einzelnen Messung mit dem Messwert $\langle e_i | {\cal O} |e_i \rangle$ mit einem bestimmten $i$ "instantan" von dem Zustand $|\psi(t)\rangle$ in den Zustand $|e_i\rangle$ uebergeht ("Kollaps der Wellenfunktion" ist hier das Stichwort fuer weitere Google-Suche). Da ich aber nie exakt vorhersagen kann (sondern nur mit einer Wahrscheinlichkeit) welchen Messwert ich messen werde, kann ich auch nie sagen, wie sich das System nach der Messung weiterentwickelt: fuer $|e_i\rangle$ und $|e_j \rangle$ mit $i\neq j$ koennte die "Zukunft" komplett anders aussehen (ob die Katze in der Box tot ist oder lebendig hat gravierende Auswirkungen auf die Besitzer).
Grob zusammen gefasst, kann man also sagen, dass wir von der klassischen Intuition her gewohnt sind, Messungen als abstrakte "externe" Prozesse zu betrachten. Diese Prozesse passieren "ausserhalb" der zeitlichen Entwicklung des Zustands innerhalb des Zustandsraums, und somit aendern sie das System nicht. Natuerlich ist das eine idealisierte Vorstellung, die nicht im realen moeglich ist. Aber wichtig ist, dass es auf der mathematischen Eben moeglich ist, einen "Grenzwert zu bilden" in dem die Messung keine Rollen spielt. Das ist ein in den mathematischen Formalismus der klassischen Physik eingebautes Feature.
In der Quantenwelt ist das -- scheinbar -- fundamental nicht moeglich, denn jede Messung beeinflusst direkt das System auf eine Art und Weise, die nicht einmal in einer idealisierten Welt vernachlaessigbar waere. Deshalb hat man den "Kollaps der Wellenfunktion" per Hand eingebaut.
Warum das passiert, weiss *niemand* auf der Welt -- daher auch Measurement *Problem*. Aber das zu eroertern ist nun wahrlich ein zu weites Feld.
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So, das war jetzt wieder eine viel zu lange geratene Antwort. Ich hoffe, dass ich (vor allem gegen Ende) nicht schon wieder zu unverstaendlich war. Bitte gerne nachfragen!
Gruss,
moep
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.10, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-23 15:02
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Zunächst ganz kurz, damit nicht der Eindruck entsteht, ich wäre nur mäßig interessiert. Das geneue Gegenteil ist der Fall.
DANKE !
Ich lerne hier mehr als aus den Büchern, die ich mir bisher gekauft habe.
Auch Zeilinger oder Susskind in Youtube haben mir bisher nicht soviel geholfen.
Ich habe ein schlechtes Gewissen ob des Aufwands, den ihr auf meine Fragen hin treibt (das war auch bei Mandelblüte schon so). Wäre schön, wenn andere Leser auch von Euren Antworten profitieren würden, oder wenigstens, wenn ihr selber auch Spaß an der Schreiberei haben würdet.
Soviel zur Geschäftsordnung. In der Sache brauche ich ein wenig Zeit, um all das Erklärte wirklich auf die Reihe zu kriegen.
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cisfinite
Aktiv  Dabei seit: 31.01.2023 Mitteilungen: 45
 | Beitrag No.11, eingetragen 2023-05-24 10:35
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Ich möchte bitte eine kurze Ergänzung machen. Ein gutes "pädagogisches" Konzept zum Einstieg in die QM habe ich in einer Vorlesung kennen gelernt, indem der Dozent vom Stern-Gerlach-Versuch ausging und allein die Spinrichtung ("up" oder "down") als Messgröße betrachtete.
Man bewegt sich hier anfangs in einem überschaubareren, weil nur zweidimensionalen, Hilbertraum und kann mit relativ elementarer Linearer Algebra, schon diverse typische quantenmechanische Konzepte erläutern, also beispielsweise, wie sehen die Erwartungswerte des Spins aus, wenn der Elektronenstrahl zuerst auf einen in z-Richtung orientierten Polarisator trifft und danach auf einen gleichgearteten in y-Richtung, oder was ist, wenn der zweite Polarisator gegenüber dem ersten um einen beliebigen Winkel $\phi$ gedreht wird?
Spätestens dann, also im allgemeinen Fall, kommen die typischen quantenmechanischen Erscheinungen in Form einer "Spinalgebra" auch schon schön zum Vorschein.
Weiterhin vermeidet man durch diesen Zugang vielleicht für den Anfänger weniger hilfreiche mathematische, zu sehr in die Funktionalanalysis führende, "Abschweifungen" (die später natürlich wichtiger werden) und damit die damit verbundenen Unanschaulichkeiten wie Unendlichdimensionalität usw.
Vielleicht kann einer der Vorredner*innen beurteilen, ob man diesen Ansatz weiter empfehlen kann?
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.12, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-24 13:33
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Halllo cisfinite,
gibt's von der Vorlesung, die du beschreibst, vielleicht ein Skript oder so ?
Wenn du mir sagst, wo und von wem das gehalten wird, suche ich selber.
Danke, Reiner
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cisfinite
Aktiv  Dabei seit: 31.01.2023 Mitteilungen: 45
 | Beitrag No.13, eingetragen 2023-05-24 13:53
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Hallo!
Ich dachte da an die "Vorlesungen über theoretische Physik/Quantentheorie" von Heinrich Mitter. Die gab es als Buch. Sie findet sich auch als PDF bei der Uni Graz.
(Ich weiß jetzt nicht, ob eine direkte Verlinkung problematisch wäre, daher nur diese Nennung; findet man aber schnell.)
Hinsichtlich zugänglicher Skripten weiß ich leider nichts, aber vielleicht kann da auch jemand anderes etwas zu benennen.
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.14, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-24 17:38
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Hab's, danke !
Da ist viel zu tun, von 320 Seiten bin ich auf der zehnten ;-)
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.15, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-26 10:05
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Habt ihr Lust, am Rande noch andere Fragen zu diskutieren ?
(btw ein Wiki wäre toll...)
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Was machen die komplexen Zahlen hier ?
Für den Elektriker, wie schon angesprochen, ein praktisches Werkzeug zur Rechnung mit harmonischen Schwingungen. Phase zwischen den Signalen usw.
Und hier ? Eine komplexe Größe für den Weg zum Beispiel ?
Gibt's dann einen Blindweg, also eine Länge mit Realteil Null ;-) ?
Gibt es irgendeine anschauliche Erklärung, ein Beispiel, was der Imaginärteil in der Quantenphysik tut ?
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wessi90
Senior  Dabei seit: 16.09.2011 Mitteilungen: 2127
 | Beitrag No.16, eingetragen 2023-05-26 10:13
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Moin,
Der Übersicht halber eröffne für neue Fragen bitte einen neuen Thread. Da kann man dann antworten.
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kannix
Junior  Dabei seit: 18.05.2023 Mitteilungen: 11
 | Beitrag No.17, vom Themenstarter, eingetragen 2023-05-26 11:15
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Sorry, hab ich sofort gemacht.
Den Eintrag hier kann ich nicht löschen, oder ?
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PhysikRabe
Senior  Dabei seit: 21.12.2009 Mitteilungen: 2811
Wohnort: Rabennest
 | Beitrag No.18, eingetragen 2023-05-26 13:10
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\quoteon(2023-05-26 11:15 - kannix in Beitrag No. 17)
Den Eintrag hier kann ich nicht löschen, oder ?
\quoteoff
Welchen Eintrag? Es gibt keinen Grund, etwas zu löschen.
Mit der neuen Frage geht es hier weiter: https://matheplanet.de/matheplanet/nuke/html/viewtopic.php?topic=262516
Grüße,
PhysikRabe
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kannix hat die Antworten auf ihre/seine Frage gesehen. Das Thema wurde von einem Senior oder Moderator abgehakt. |
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